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Deutschland, Belgien und die Niederlande: Verhältnis untereinander

Wie schauen Deutsche, Belgier und Niederländer heute aufeinander, wie ist das Bild in Umfragen und Medienberichten? Fangen wir an mit den Niederlanden. Wie nimmt man hier die deutschen und belgischen Nachbarn wahr? Um es mit einem Wort zu sagen: ziemlich positiv!

Hinweis: Dieses Modul folgt auf den Text “Euregio: Kurze Wege, andere Welten” und ist am besten in dessen Kontext zu verstehen. Beide finden sich im gleichen Download.

Aus niederländischer Sicht

Aber nun genauer: Nachdem der niederländische Blick auf Deutschland lange Zeit vom Zweiten Weltkrieg überschattet war, so schreiben die Niederländer den Deutschen heute ganz überwiegend positive Eigenschaften zu, und regelmäßig landen die Deutschen in Umfragen nach den beliebtesten Völkern sogar auf dem ersten Platz. Beliebtestes Urlaubsziel ist Deutschland ebenfalls seit Jahren.

Verschiedene Studien zeigen, dass heute keine zwei Staaten in der EU auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene so eng zusammenarbeiten wie Deutsche und Niederländer. Deutschland ist mit Abstand der wichtigste Handelspartner der Niederlande, das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern lag 2019 bei 190 Milliarden Euro, 2021 wird dieser Wert noch übertroffen. Für Deutschland sind die Niederlande mit Abstand der wichtigste europäische Handelspartner und die Nummer zwei weltweit – direkt hinter China und noch vor den USA. Mehr zum Wirtschaftsaufbau von Deutschland und den Niederlanden sowie zum Wirtschaftsaufbau von Belgien in unseren entsprechenden Modulen.

In den niederländischen Medien wird viel über Deutschland berichtet, politisch und kulturell. Berlin erscheint als moderne, hippe Stadt mit spannenden rauen Seiten, aus NRW wird regelmäßig und so ausführlich berichtet, dass die Grenze (etwa zwischen Limburg und NRW) in der Berichterstattung oft kaum noch spürbar ist.

Auch was die politische Seite betrifft, fühlt man sich einander nah. Beide Länder sind Europäer der ersten Stunde. War Deutschland allerdings früher noch der große Nachbar, von dem man sich abgrenzte, um die eigene Identität zu stärken, so rückten durch die EU-Erweiterung 2004 ehemals kommunistische Staaten in die Nähe, denen man sich deutlich fremder fühlte als den Deutschen. Deutschland galt nun nicht länger als „der andere“, sondern als „einer von uns“. Zu den Gemeinsamkeiten aus der Außenperspektive siehe unser Modul zu euregionalen Gemeinsamkeiten und Kulturdimensionen.

Auch der niederländische Blick auf Belgien hat sich sehr zum Positiven gewandelt, vor allem in Bezug auf Flandern. Die südlich angrenzende Region wird als wirtschaftlich stark und kulturell sehr modern wahrgenommen: es gibt eine Reihe von wirtschaftlichen Kooperationen oder sogar Fusionen, regelmäßige gemeinsame Regierungskonsultationen sowie niederländisch-flämische Kulturprogramme in Brüssel.

Durch dieses Näherrücken wuchs auch das Bewusstsein für die Eigenständigkeit der flämischen bzw. belgischen Kultur. Man weiß heute in den Niederlanden, dass die Flamen irgendwie „anders ticken“, und man nimmt diese Unterschiede in der Unternehmenskultur durchaus ernst. Wer grenzüberschreitend arbeitet, begreift schnell, dass die gemeinsame Sprache nicht unbedingt kulturelle Nähe bedeutet.

Noch vor 25 Jahren war allerdings in den Niederlanden, und das gilt auch für die südlichen Landesteile, zuweilen eine eher überhebliche Haltung Belgien gegenüber zu beobachten. Es war Usus, sich über die Nachbarn als chaotisch und rückständig lustig zu machen. Das zeigte sich etwa in zahllosen belgenmoppen, also Belgierwitzen, die vergleichbar sind mit den deutschen Ostfriesenwitzen.

Wichtig zu wissen ist, dass es in den Niederlanden keinerlei Zugehörigkeitsgefühl in Bezug auf Belgien gibt, und umgekehrt auch nicht. Aus deutscher Sicht, etwa durch den Begriff der „Benelux-Länder“, stellt es sich manchmal so dar, als würde es hier eine kulturelle große Ähnlichkeit geben – das allerdings sehen sowohl die Niederländer als auch die Belgier anders. 

Aus belgischer Sicht

Nun zu Belgien: Wie blickt man hier auf die Nachbarn, welche Bilder hat man voneinander? Es ist wohl nicht übertrieben, das belgische Grundgefühl den Niederländern gegenüber als immer noch ein wenig misstrauisch zu bezeichnen. Das liegt an der Geschichte, ist aber auch eine Reaktion auf die oft als überheblich wahrgenommene niederländische Sicht auf Belgien. In landesweiten belgischen Umfragen werden die Niederländer immer wieder als besserwisserisch, arrogant, unhöflich, dominant und aggressiv bezeichnet.

Gleichzeitig hat man Respekt vor der niederländischen Effizienz und guten Organisation. Ab und zu auch vor der niederländischen Direktheit, die allerdings überwiegend als negativ und extrem unhöflich bewertet wird. Diese Haltung den Niederlanden gegenüber ist im flämischen Landesteil deutlich stärker ausgeprägt als im französischsprachigen, wo die Niederlande kaum zur Kenntnis genommen werden.

Allerdings entsteht durch die wirtschaftliche Kooperation zwischen Flandern und den Niederlanden zunehmend mehr Kontakt – und je besser man sich kennt, desto besser versteht man sich auch. Viele der Zuschreibungen sind auch dem Größenunterschied geschuldet: weisen Nachbarländer eine gewisse Asymmetrie auf, werden die Einwohner des größeren Landes sehr häufig als arrogant oder besserwisserisch bezeichnet. Diese Zuschreibungen sind also nicht typisch für die belgisch-niederländische Nachbarschaft.  

Im französischsprachigen Teil Belgiens orientiert man sich in der Regel in Richtung Frankreich und weiß wenig über den nördlichen Nachbarn. Viele Einwohner kennen hier noch nicht einmal die Namen wichtiger niederländischer Politiker:innen, einfach weil das Land in den Medien nur wenig präsent ist.

In Flandern und auch in Ostbelgien ist man dagegen gut informiert über die Niederlande und verfolgt auch die Berichterstattung in niederländischen Medien. In Bezug auf Belgien macht sich hier tatsächlich die kulturelle Grenze zwischen Romania und Germania bemerkbar.

Das gilt auch für den belgischen Blick auf Deutschland. Für die Flamen ist Deutschland wirtschaftlich und auch politisch ein sehr interessanter Partner, und trotz aller Unterschiede fühlt man sich einander kulturell nah. Man schätzt in Flandern die deutsche Verlässlichkeit, und die Wirtschaftsbeziehungen sind sehr eng: Deutschland ist wichtigster Handelspartner, der flämische Export nach Deutschland beträgt rund 60 Milliarden Euro. Auch die Wallonie exportiert nach und importiert aus Deutschland, hier in erster Linie im chemischen und pharmazeutischen Bereich. Lüttich als europaweit drittgrößter Binnenhafen liegt dicht bei Aachen.

In der Wallonie ist Deutschland für viele Einwohner zwar kulturell weit weg, das Interesse wächst jedoch. Die politische Zusammenarbeit, vor allem auch mit NRW, ist in den vergangenen Jahren stark intensiviert worden, und außerdem fungiert hier die Deutschsprachige Gemeinschaft als Bindeglied: Die Deutschbelgier sprechen beide Sprachen, begreifen beide Kulturen und sind ausgezeichnete Vermittler.

Aus Sicht der deutschsprachigen Belgier ist Deutschland natürlich sehr nah, man verfolgt die Nachrichten, kennt die Ergebnisse der Bundesliga und ist selbst mit den neuesten Comedy-Shows vertraut. Viele deutschsprachige Belgier sehen sich daher auch selbst als Vermittler, die in beide Richtungen Unterschiede überbrücken können und ein besseres Verstehen fördern.

Aus deutscher Sicht

Der deutsche Blick auf die Niederlande ist seit Jahrzehnten ausgesprochen wohlwollend. Man schätzt die Niederländer für ihre Innovationskraft, ihren Handelsgeist, ihre Kultur. Die Grenze ist für viele kaum spürbar, man geht in den Niederlanden einkaufen, essen, verbringt hier den Urlaub macht – und kommt prima zurecht.

Allerdings wissen die meisten Deutschen recht wenig über die Niederlande. Klar, man kennt den niederländischen Ministerpräsidenten – aber dass das Land eine ganz eigen Geschichte hat, die sich von der deutschen stark unterscheidet, weiß man in der Regel nicht. Viele Deutschen werden sich der Kulturunterschiede erst bewusst, wenn sie beruflich mit oder in den Niederlanden zu tun haben.

Für Irritationen sorgt auch hier zuweilen die Asymmetrie in der Größe der beiden Länder. Deutsche haben schonmal die Neigung, die Niederländer nicht ganz ernst zu nehmen, ganz einfach weil das eigene Land größer ist – und das erschwert natürlich die gedeihliche Zusammenarbeit. Viele Deutsche sind dann auch erstaunt, wenn die „kleinen“ Niederlande sehr selbstbewusst auftreten.

Diese Haltung – wenig Wissen in Kombination mit großem Selbstbewusstsein, weil man ja aus dem größeren Land kommt – gilt auch für die Grenzregionen, nur etwas angewandelt: Kulturell ist man sich näher, sprich katholisch und lebensfroh, die Grenze ist kaum spürbar und man kennt sich aus. Allerdings machen sich die weißen Flecken in Bezug auf Kultur und Geschichte des Nachbarlandes hier umso stärker bemerkbar.

Dies gilt insbesondere für Belgien. Über die belgische Politik sind Deutsche oft nur sehr dürftig informiert, allerdings liegt dies auch daran, dass in deutschen Medien zwar viel aus Brüssel und über Europapolitik berichtet wird, aber ausgesprochen wenig über das Land Belgien. Die in Brüssel ansässigen Journalist:innen sprechen in der Regel kein Niederländisch und können daher die flämische Politik kaum aus direkten Quellen verfolgen, und inzwischen sinken auch die Französisch-Kenntnisse rapide. Um in Brüssel zu funktionieren, kommt man mit Englisch prima klar. Und das verengt den Blick auf das Land Belgien enorm.

Was dann bleibt, ist die Sicht auf Belgien als ein politisch kompliziertes Land. Die wirtschaftlichen Erfolge werden in Deutschland kaum zur Kenntnis genommen, ganz zu schweigen von exzellenten Hochschulen oder einer ausgezeichneten medizinischen Versorgung.

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Autorin: Dr. Ute Schürings

Promovierte Niederlandistin & Romanistin, interkulturelle Trainerin

Mit einem Bein im Nachbarland

Trotz unsichtbarer Schengengrenzen – in der Euregio treffen drei Staatsgebilde aufeinander, mit eigenen Regeln, Institutionen und einer anderen Politik. Gleichzeitig stehen sich viele Menschen grenzüberschreitend sehr nahe, sei es durch familiäre Bindungen, Arbeit, Studium oder sei es auch nur für den kurzen Ausflug zum Einkaufen am Feiertag.

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