Hinweis: Die folgenden Texte sind Teil von “Belgien: Arbeitsplatz, Alltag & Lebensgefühl” und erschließen sich am Besten im Gesamtzusammenhang.
Andere Prioritäten in der Geschäftskultur
Um wirtschaftliche Kooperation wirklich nachhaltig zu gestalten, kann es sehr hilfreich sein, sich mit Unternehmenskultur und interkultuellen Unterschieden zu beschäftigen. Denn Belgier:innen, egal ob Flamen oder Wallonen, gehen im geschäftlichen Kontakt oft anders miteinander um als Deutsche oder Niederländer:innen.
Persönlicher Kontakt
Zunächst einmal spielt der persönliche Kontakt eine ganz entscheidende Rolle: Um Vertrauen aufzubauen, ist es nicht ungewöhnlich, sich erst einmal kennenzulernen – und zwar nicht nur bei zehn Minuten Small Talk im Büro. Lieber wählt man dafür ein Restaurant und nimmt sich Zeit. Bei einem solchen Erstkontakt wird manchmal nur wenig über das Geschäft – immerhin der Grund des Zusammentreffens – gesprochen, sondern vor allem über private Dinge wie Hobbies, Familie, Urlaube. Mehr zu Alltag und (Privat-)Leben in Belgien in unserem Modul “Familie, Kirche, Staat – und Restaurants“.
Die vermeintliche Plauderei liegt auch darin begründet, dass persönliches Vertrauen in Belgien traditionell eine wichtige Geschäftsgrundlage darstellt. Man will den anderen erst einmal abtasten und schauen, mit was für einem Menschen man es zu tun hat. In der romanisch geprägten Kultur Belgiens gibt es keine strenge Trennung der Lebenswelten, daher spielt das Privatleben im Job durchaus eine Rolle. Kulturvergleiche zeigen immer wieder, dass die belgische Art, miteinander umzugehen, viele Gemeinsamkeiten mit Mittelmeerländern wie Spanien und Italien aufweist.
Diese “mediterane” Herangehensweise ist gerade für Deutsche oft ungewohnt, zählt hier doch im Beruf vorwiegend die Sachebene. Man kann sich daher gar nicht vorstellen, wie wichtig in Belgien das erste Kennenlernen ist, und wie viele Punkte man sammeln kann, wenn man sich dafür Zeit nimmt, offen, aber zurückhaltend auftritt und etwas von sich selbst preisgibt. Auch für Niederländer:innen ist dieses ausführliche, eher zurückhaltende Kennenlernen oft überraschend.
Zugänglichkeit & Humor
Denn anders ist auch die Art, auf die man sich selbst präsentiert, und wie es gelingt, einen positiven Eindruck zu hinterlassen. Noch mehr als in den Niederlanden ist hier Understatement die Maßgabe: Man gibt sich nahbar und zugänglich. Und dazu eignet sich hervorragend eine scherzhafte Bemerkung, mit der man sich selbst kleiner macht als man ist – etwa über eine Ungeschicklichkeit, die den anderen amüsiert, oder eine kleine Niederlage. So signalisiert man: Ich will hier nicht mein Revier markieren, sondern als zugänglicher Mensch wahrgenommen werden. Anders als in den Niederlanden tut man auch nicht gleich die eigene Meinung kund, sondern versucht zunächst einmal herauszubekommen, wie die anderen ticken.
Humor hat dabei eine wichtige Funktion: Den Gesprächspartner zum Lachen zu bringen und die Situation aufzulockern – das ist eine Kunst, die sowohl von Flamen als auch von Wallonen sehr geschätzt wird. Die Gespräche bleiben dabei relativ belanglos, man würde nie über heikle Themen wie Politik oder Religion reden. In diesem Bereich sind Witze, vor allem von Außenstehenden, ein absolutes Tabu.
Understatement zeigt sich auch im Umgang mit Vermögen. Germany Trade & Invest schreibt im Ratgebertext zu Belgien, man solle Wohlstand nicht allzu offen zur Schau stellen. Ein Blick in die Regenbogenpresse bestätigt: Selbst die belgische High Society lebt relativ diskret, es gibt wenig Berichte. Und dass ein erfolgreicher Unternehmer vielleicht ein Weingut in Frankreich besitzt, spricht sich zwar herum, wird aber nicht an die große Glocke gehängt. Nur für Essen wird – auch für andere sichtbar – gern viel Geld ausgegeben.
Selbstbewusste Zurückhaltung
Besprechungen
Auch der Ablauf von Besprechungen oder Verhandlungen ist meist anders als in Deutschland oder in den Niederlanden – weniger direkt und deutlich langsamer. Niederländer geben häufig an, sie müssten sich an diese Art erst gewöhnen. Flamen wie Wallonen sind oft sehr zurückhaltend, vor allem wenn es um wichtige Entscheidungen geht. Bevor man in einer Besprechung einen Vorschlag macht, redet man oft erst einmal mit allen Kollegen einzeln, erst dann sagt man etwas in der nächsten Besprechung. Aber auch nach allgemeiner Zustimmung wird oft noch mehrmals bei allen Beteiligten nachgefragt, ob sie auch wirklich einverstanden sind.
Ist das nicht etwas umständlich und zeitraubend? Nicht unbedingt. Denn Ziel ist immer ein Kompromiss, der alle zufriedenstellt, oder der zumindest für alle akzeptabel ist. Das dauert zuweilen etwas länger, hat aber den Vorteil, dass ein Beschluss von allen mitgetragen und dann auch so realisiert wird. In gewisser Weise ist eine solche Vorgehensweise sehr nachhaltig, denn sie sorgt für Ruhe und Stabilität.
In den Niederlanden gibt es dagegen oft eine Veränderung nach der anderen, und das kostet Zeit und Nerven. Der Standardsatz in Flandern lautet denn auch: „Laten we het niet overhaast doen“, auf Deutsch: „Lassen wir nichts überstürzen“. Dies gilt auch für die Wallonie. Hier ist die Beschlussfassung zwar von der Tendenz her etwas weniger partizipativ als in Flandern, das heißt es entscheidet eher der/die Vorgesetzte, aber die vorsichtige, bedächtige Beschlussfassung ist vergleichbar.
Was (dagegen) bei stereotypische Besprechungen in den Niederlanden und Deutschland wichtig ist, lässt sich in den entsprechenden Modulen nachlesen und nachhören: Audiopräsentationen zu Alltag und Arbeitskultur und interkultureller Minikurs.
Geschäftskommunikation
Die Kommunikation, und das bezieht sich auf alle Landesteile, ist in Belgien oft sehr indirekt. Gerade Ablehnung wird in der Regel kaum einmal direkt geäußert, sondern nur sehr abgeschwächt: als eine Art Zweifel, oder im Nachhinein unter vier Augen. Dies führt oft zu großen Verwirrungen bei deutsch-belgischen oder niederländisch-belgischen Verhandlungen.
Ein deutscher Beamter, der viel mit Belgien zu tun hat, berichtet von einem der ersten Treffen für ein deutsch-belgisches Projekt: „Weil niemand Einwände vorbrachte, sind wir davon ausgegangen, dass alle mit unserem Vorschlag einverstanden waren. Zwei Monate später sind wir dann aus allen Wolken gefallen, als herauskam, dass dies keineswegs der Fall war.“
In der Tat entstehen durch ein solches ablehnendes Schweigen viele Missverständnisse und Irritationen. Denn in Belgien gibt es einfach kein klares „Nein“. Schweigen ist die härteste Art, nein zu sagen. Daher ist es sehr hilfreich, zwischen den Zeilen zu lesen und Gesprächspausen oder Zögern entsprechend zu interpretieren.
Einmal mehr zeigt sich hier eine oft als romanisch bezeichnete, einfühlsame Art der Kommunikation: Persönlicher Kontakt und Kontext spielen manchmal eine größere Rolle als das, was inhaltlich gesagt wird. Hintergrund ist, dass man das Gegenüber nicht vor den Kopf stoßen möchte. Es ist von absolut entscheidender Bedeutung, dass jeder sein Gesicht wahren kann – und eine direkte Ablehnung wird nun einmal als kränkend empfunden. Man kann sich leicht vorstellen, welch schlechten Eindruck es in Belgien macht, wenn deutsche Geschäftspartner Einladungen zum Essen ohne wirklichen Grund ausschlagen, oder Vorschläge der Belgier vor versammelter Runde argumentativ zerlegen. Hier zählt die gute persönliche Beziehung mehr jede Effizienz auf der Sachebene.
Die Mühe lohnt
Die eher indirekte Kommunikation mag nun delikat und schwierig klingen – dennoch wird die Zusammenarbeit gerade zwischen Deutschen und Belgiern in den allermeisten Fällen als unkompliziert angesehen. Wenn man sich einmal kennt und die Sache läuft, geht in der Regel alles sehr schnell und problemlos. Belgier gelten als pragmatisch, effizient und lösungsorientiert: Wenn es ein Problem gibt, wird es mit großem Einsatz und Ideenreichtum gelöst. Und die vielen deutschen Unternehmen in Belgien würden ja nicht ihre Kapazitäten ausweiten, wenn sie dort unzufrieden wären.
Hinzu kommt: Belgier sind in der Regel keine Pfennigfuchser. Wenn man einmal miteinander im Geschäft ist und alles gut läuft, wird man nicht so schnell den Lieferanten wechseln, nur weil ein anderer ein wenig billiger oder ein wenig schneller ist. Vertrauen und Verlässlichkeit zählen mehr als der Preis.
Gerade Deutsche beschreiben die Zusammenarbeit mit belgischen Partnern nicht nur als gut, sondern auch als angenehm und beinahe freundschaftlich. Das passt zur belgischen Kultur: Man ist effizient und vom Lebensstil her eher konservativ und pflichtbewusst, aber dabei nicht verbissen. Bei einem Deal wird nicht der letzte Cent herausgeholt, und als Zeichen der Wertschätzung lädt man den Geschäftspartner ab und zu in ein gutes Restaurant ein. Genuss gehört eben zum Leben – und zum Arbeiten.
Mehr zum Thema (interkulturelle) Kommunikation in unserem entsprechenden Audiopräsentation.