Kultur ist abstrakt – in diesem Modul nutzen wir zehn Kulturdimensionen, die interkulturelle Unterschiede etwas greifbarer machen.
Der Blick auf diese zehn wichtige Kulturdimensionen von Deutschland und Belgien zeigt sowohl große Gemeinsamkeiten als auch (überraschend) große Unterschiede. In Deutschland und Belgien findet man eine etwas hierarchische Art der Entscheidungsfindung normal– im Gegensatz zu den egalitäreren Niederlanden. Kommunikation und negative Kritik ist in Deutschland jedoch in der Tendenz deutlich direkter.
Kulturschock?
Unterschiede zwischen Ländern müssen zu keinem Kulturschock führen. Sich damit zu beschäftigen kann aber erstens helfen, mögliche Irritationen zu erkennen und Herausforderungen zu meistern. Zweitens ist ein Kulturschock oftmals eine wichtige Lernerfahrung und ist schlicht Anzeichen für einen Lernprozess. Mehr dazu auch in unserem Modul zum “Grenzgängerkulturschock” für all jene, die über Staatsgrenzen pendeln und die verwegene Frage nach einem “Kulturschock Aachen-Eupen?“für Grenzpender:innen zwischen Deutschland und Ostbelgien.
Mögen Deutschland und Belgien auch nah beieinander liegen, die untenstehende Graphik zeigt etwas genauer, wo das deutsche und belgische “normal” besonders nah beieinander liegen. Wie man dort sieht werden in Deutschland und Belgien Hierarchien zu einem gewissen Grad toleriert und erwartet, man erwartet eine gewisse Mitbestimmung – aber keine totale Miteinbeziehung bei jeder Entscheidung – anders als z.B. in den Niederlanden.
Bei Kommunikation und Feedback redet man in Belgien dagegen deutlich indirekter und eher “durch die Blume”. Offene Konfrontation wird eher gemieden und die Zeitplanung ist im Schnitt flexibler als in Deutschland. Was diese abstrakten Begriffe in der Praxis bedeuten zeigen unsere Module zu Alltag und Arbeitskultur in Belgien.
Unterschiede = Kulturschock?
Die oben angesprochenen Unterschiede müssen nicht zu Schwierigkeiten führen. Für Menschen, die sich intensiv mit belgischen Geschäftspartner:innen auseinandersetzen oder dorthin umziehen ist es jedoch gut zu wissen, wo sich Normalitäten und Erwartungen in Deutschland, den Niederlanden und Belgien am ehesten unterscheiden.
Eine Besonderheit Belgiens ist sicherlich die Heterogenität des Landes. Flamen, Wallonen und Deutschsprachige haben eine andere Sprache und leben in unterschiedlichen Öffentlichkeiten. Es mag daher überraschen, dass es dennoch viele Gemeinsamkeiten gibt und einige typische Aspekte, die vor allem für Außenstehende oder Neuzugezogene sichtbar werden.
Ein deutscher Arbeitnehmer in Belgien
Ein Kulturschock verläuft ähnlich einer Achterbahnfahrt. Als Deutscher in Belgien ist diese Achterbahnfahrt vermutlich einigermaßen ruhig. Dennoch geht es auf und ab.
Als deutscher Arbeitnehmer in einem belgischen Unternehmen mag man sich zu Beginn freuen, dass die Unterschiede gar nicht so groß sein mögen. Das bezieht sich bspw. auf die Aspekte in der Graphik, bei denen Deutschland und Belgien nah beieinander liegen.
Ein (stereo-)typischer deutscher Arbeitnehmer mag sich auch freuen, dass es mehr zeitliche Flexibilität gibt und Konflikte vergleichsweise respektvoll und höflich ausgetragen werden.
Beide Aspekte können später frustrieren: “Warum sagt man mir nicht einfach, wenn etwas falsch läuft? Ich dachte wir hätten eine Vereinbarung” könnte eine solche Stimmung beschreiben. Und auch der flexiblerer Umgang mit zeitlicher Planung hat möglicherweise Kehrseiten, wenn man auf die punktgenaue Zuarbeit einer Kollegin angewiesen ist.
Übrigens:
Alles ist relativ. Neben unterschiedlichen Ländern prägen auch andere Faktoren die Art und Weise, wie Menschen miteinander umgehen und kommunizieren. Ein Student redet im Durchschnitt anders als seine Professorin und tut sich mit seinem Kommolitonen aus dem Nachbarland dagegen sehr leicht.
Ein Aspekt sind auch die regionalen Identitäten im heterogenen Belgien: Selbstwahrnehmung und Fremdzuschreibung spielen eine große Rolle. Deutschsprachiger Belgier mögen in Verhandlungen im eigenen Land gewöhnt sein kann, in Verhandlungen stets auf verlässliche Zeitfenster zu pochen, so erscheint dieselbe Person einer neuen deutschen Geschäftspartnerin vielleicht recht flexibel im Umgang mit der Zeit. Ein Flame mag sich gegenüber den Wallonen als eher direkt und konfrontierend empfinden, Im Umgang mit einem stereotypen Niederländer ist er dagegen eher in der „überfahrenen“ Rolle und mag sich von allzu offener Kritik überraschend gekränkt fühlen.
Hintergrundwissen
Gerade in Belgien bestimmt der staatliche Aufbau wichtige Aspekte des Lebens. Für Neuzugezogene oder ausländische Geschäftspartner ist das nicht immer leicht einzusehen. Ein wenig Hintergrundwissen macht es leichter, Gespräche und Nachrichten im neuen Land zumindest besser nachzuvollziehen. Hintergrundwissen (vgl. unsere Module zu Alltag und politischem Aufbau) verringert das Gefühl, im neuen Kontext “außen vor” zu sein. Im folgenden ganz kurz:
Sprachenstreit und Zusammengehörigkeit
Sprache erscheint im „Sprachenstreit“ zwar oft als das politisch trennende Element. Das bedeutet jedoch nicht, dass man sich nur aufgrund der Sprache einem der Nachbarländer anschließen wollte: In der Wallonie mit erstrebt nur eine verschwindende Minderheit einen Anschluss an Frankreich; in Flandern ist dies vielleicht sogar noch weniger ein Thema. Die flämische Alltagssprache unterscheidet sich auch deutlich vom Niederländisch der Niederlande und wird als durchaus anders empfunden. Die Deutschsprachige Gemeinschaft fühlt sich als „bestgeschützte Minderheit der Welt“ und mit weitreichenden Autonomien gut in Belgien beheimatet. Man unterstützt die nationale Fußballmannschaft der “Roten Teufel” – das tun im Übrigen alle in Belgien.
Sprache in Flandern
Sprachlich ist die Situation zwischen den Niederlanden und Flandern etwa mit der in Deutschland und Österreich zu vergleichen. Beide teilen dieselbe Hochsprache, das Hochdeutsche bzw. das „ABN“, Algemeen beschaafd Nederlands. Gleichzeitig gibt es große Unterschiede in der Alltagssprache, man versteht sich (insbesondere verstehen die Flamen die Niederländer), aber man versteht auch sehr schnell, wo jemand herkommt bzw. dass es sich um das Nachbarland handelt. Auch das Verhältnis zu Fremdsprachen ist recht unterschiedlich. Während viele Niederländische Universitäten Fächer teilweise nur noch auf Englisch anbieten, gibt es in Flandern verschiedene Dienstleistungen ausschließlich auf Flämisch. Das liegt weniger an der Unkenntnis des Englischen als an der Geschichte, sich gegen die sogenannte „verfransing“, also eine schleichende Verfranzösisierung des Alltags zu behaupten. Besonders im flämischsprachigen Umland Brüssels ist dies ein Thema – auch hier ziehen viele Menschen aus der Stadt aufs Land – und überqueren damit gleich eine sensible Sprachgrenze.
Deutschsprachiges Ostbelgien
Belgiens deutschsprachige Gemeinschaft, mit großer Autonomie besonders in den Bereichen Bildung und Kultur besticht durch eine Mischung aus Deutschen Tugenden und südlicherem Laissez Faire. Im Modell von Erin Meyer: Ostbelgier sind sich beider Kulturstandards häufig recht bewusst, können Deutsche Einstellungen besser nachvollziehen. Trotz großer Orientierung hin zu deutschen Medien heißt aber nicht zwangsläufig, dass alles Deutsche auch zwangsläufig als Ideal angesehen wird.
Mehr zum “Kulturschock Aachen-Eupen?” in unserem speziellen Modul.