Fleißige Weltbürger – Ausbildungssystem

Hinweis: Die folgenden Texte stehen im Kontext von “Belgien: Arbeitsplatz, Alltag & Lebensgefühl”. Viele Aspekte werden im Gesamtkontext deutlicher.

Belgien ist ein Land mit großer Wirtschaftskraft – seine Einwohner:innen zählen sogar zu den produktivsten der Welt. Um wirtschaftlich erfolgreich zu sein, braucht es gut ausgebildete Mitarbeiter:innen. Wie ist also das Lernen in Belgien organisiert, und vor allem: Wie spiegelt sich die Mehrsprachigkeit des Landes im Schulunterricht wider?

Drei Bildungssysteme ...

Zunächst einmal muss man wissen, dass die drei Sprachgemeinschaften (die französische, niederländische und deutsche) jeweils selbst für ihre Schulen und Universitäten zuständig sind – unabhängig von der Region. So gibt es in der Region Brüssel beispielsweise französischsprachige und niederländischsprachige Schulen. Diese Unterschiede äußern sich auch im Deutsch-Belgisch-Niederländischen Grenzgebiet, mehr dazu in unserer eigenen Rubrik zu Schule und Ausbildung.

... mit gemeinsamen Rahmen

Es besteht ein für alle verbindlicher Rahmen: In ganz Belgien herrscht vom 6. bis zum 18. Lebensjahr Schulpflicht, dabei umfasst der Grundschulunterricht die Klassen 1-6, dann folgt die Sekundarstufe mit den Klassen 7-12. Die Schule bietet überwiegend Ganztagsunterricht, nur der Mittwochnachmittag ist frei. In allen Landesteilen gibt es konfessionelle (katholische) Schulen und nicht-konfessionelle, die Gewichtung ist etwa 50 zu 50. Das ist im Vergleich zu Deutschland eine hohe Zahl, für die Niederlande nicht. Die katholischen Schulen gelten traditionell als etwas anspruchsvoller.

Spracherwerb

Der Spracherwerb verläuft allerdings je nach Sprachzugehörigkeit unterschiedlich. Die kleine Gruppe der deutschsprachigen Belgier im östlichen Landesteil (die Deutsch als Muttersprache hat) lernt bereits im Kindergarten und dann ab der ersten Klasse der Grundschule Französisch. Einige Unterrichtsstunden werden auch in der Fremdsprache Französisch erteilt, so dass die Kinder diese Sprache schriftlich wie mündlich fließend beherrschen. Dies setzt sich auf der weiterführenden Schule fort: Je nach Schule wird 50% des Unterrichts auf Französisch erteilt. Ab Klasse 7 kommt als zweite Fremdsprache Englisch oder wahlweise Niederländisch hinzu.

Auch an den frankophonen Schulen in der Wallonie und Brüssel ist Niederländisch kein Pflichtfach. Viele Wallonen lernen als erste Fremdsprache Englisch, die Mehrzahl lernt nur wenig Niederländisch – und so kommt es, dass die meisten Französischsprachigen die Landessprache Niederländisch nicht gut beherrschen. Sprich, viele können keine niederländischen Texte lesen oder eine Unterhaltung auf Niederländisch führen. Allerdings legen zunehmend mehr frankophone Eltern Wert darauf, dass ihre Kinder die Sprache des nördlichen Landesteils erlernen – denn das erhöht die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Zudem gibt es in der Wallonie inzwischen einige Schulen, die sehr intensiv Niederländisch unterrichten, und verglichen mit Deutschland ist die Zahl der Niederländischschüler:innen immer noch deutlich höher. Mehr zum Sprachenlernen von Französisch und Niederländsch, zwischen Flämisch und “Holländisch” in unserer gesonderten Rubrik.

Flämische Schüler:innen haben normalerweise ab Klasse 5 Französisch als Pflichtfach, ab Klasse 8 Englisch, früher war auch Deutsch vorgeschrieben. Jeder Flame lernt also auf der Schule die Landessprache Französisch. Das Interesse am Erwerb von Fremdsprachen ist in Flandern generell sehr groß – allerdings sprechen viele Flamen zwar sehr gut Englisch, vernachlässigen aber, trotz des Schulunterrichts, das Französische. Die Sprachkenntnisse im Französischen haben daher in den letzten 20 Jahren trotz des frühen Pflichtunterrichts stark nachgelassen, obwohl Französisch für den Arbeitsmarkt sehr wichtig ist.

Selbst wenn inzwischen einige Eltern Wert darauflegen, dass ihre Kinder auch die anderen Landessprachen beherrschen, ist die Mehrheit der Belgier weit von diesem Ideal weit entfernt. Die Trennung der belgischen Lebenswelten wird durch den Schulunterricht somit nicht abgebaut. Spracherwerb spielt zwar eine wichtige Rolle, aber es werden nicht unbedingt die Sprachen des eigenen Landes erlernt. Junge Flamen und Wallonen unterhalten sich daher heute oft auf Englisch, weil sie keine gemeinsame Sprache haben. Aber dies ist kein aktuelles Phänomen, das Ausweichen auf Englisch war schon in den 1990er Jahren zu beobachten.

Hoher Bildungsanspruch

Was die verschiedenen Sprachgemeinschaften miteinander verbindet, das sind allerdings die hohen Anforderungen an die Schüler. Der Unterrichtsstil lässt sich als konservativ-streng bezeichnen, es wird viel auswendig gelernt und abgeprüft. Pro Schuljahr gibt es, zusätzlich zu Klassenarbeiten und wöchentlichen Tests, drei Prüfungsperioden von zwei Wochen, während derer der Lehrstoff schriftlich abgefragt wird. Belgische Eltern sind oft sehr froh und erleichtert, wenn die Kinder es endlich geschafft haben, denn die Schule wird als enorm hart bewertet.

Hochschulbildung

Bildung hat in Belgien einen hohen Stellenwert, und das setzt sich an der Hochschule fort. Auch hier liegt der Akzent auf Wissensvermittlung. Traditionell ist an belgischen Universitäten alles gut durchstrukturiert, und das Studium ist in der Regel von intensiver Arbeit geprägt. Viele Studierende haben ein Zimmer in einem Wohnheim und kommen am Wochenende nach Hause, wo sie sich von der Familie dann wieder aufpäppeln lassen. Oft ist die Bindung ans Elternhaus während des Studiums noch recht eng, viele Studierende wählen eine Uni in der Nähe ihres Wohnortes. Die jungen Belgier:innen sind früh mit dem Studium fertig und haben oft schon mit 22 Jahren ihren Master in der Tasche. Dann vielleicht noch ein Jahr ins Ausland, und los geht’s mit dem ersten Job.

Die Studienlandschaft in Belgien ist natürlich vielfältig, mit reicher Auswahl an Studiengängen und nicht zuletzt Sprachen. Im Vergleich zu Deutschland ist es rein räumlich dennoch übersichtlich: Eine typische Flämin studiert in den Uni-Städten Löwen oder Gent, oder in Antwerpen, Brüssel, Brügge, Kortrijk oder Hasselt. Ein typischer Wallone studiert in Louvain-la-Neuve (nahe dem Flämischen Löwen), Namur, Brüssel oder Liège. Letzere sind übrigens auch bei Deutschsprachigen Belgiern sehr beliebte Studienorte.

Mehr zu den Hochschulen und Universitäten in der Euregio Maas-Rhein in der speziellen Rubrik.

Die belgische Ausbildung im internationalen Vergleich

In Studien und Universitäts-Rankings schneiden die belgischen Bildungseinrichtungen sehr gut ab, in der Pisa-Bewertung etwa liegt Belgien regelmäßig vor Deutschland, und in weltweiten Bildungsrankings rangiert Belgien regelmäßig ganz vorne. Innerhalb des Landes gibt es allerdings ein Gefälle, denn flämische Universitäten schneiden oft besser ab als die wallonischen. Der nördliche Landsteil kann für den Bildungssektor allerdings auch erheblich mehr Geld ausgeben als der südliche. Mehr zur Studienfinanzierung von Seiten der Studierenden in unserer gesonderten Rubrik.

Die vorschulische Kinderbetreuung ist hingegen in allen Landesteilen sehr gut ausgebaut: Für Frauen ist es daher völlig normal, keine langen Babypausen einzulegen, sondern schnell in den Job zurückzukehren. Ergebnis: Das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen, der sogenannte Gender Pay Gap, liegt in Belgien bei unter 6 Prozent (in Deutschland bei rund 19 Prozent, in den Niederlanden knapp 15 Prozent). Außerdem gibt es da noch die Großeltern, die meist nicht weit entfernt wohnen und bei der Kinderbetreuung einspringen können.

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Autorin: Dr. Ute Schürings

Niederlandistin & Romanistin; Interkulturelle Trainerin und Autorin BeNeLux u.a.

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