Rheinische Lebensart & Dialekt

Ähnlich wie das Limburgische ist das Kölsche / Öcher Platt für seinen melodischen Klang bekannt. Die Menschen aus dieser Gegend „singen“ nicht nur. Man sagt ihnen auch nach, dass sie „carpe diem“ den Augenblick leben, ohne allzu viele Sorgen mit Blick auf Morgen. Mit der Besonderheit der „rheinischen Verlaufsform“ „ist man etwas am machen“, „gerade am singen“ oder man „ist am Karneval feiern“. Rein grammatikalisch in jedem Fall  besonders dem Moment verhaftet, auch wenn hier einige Klischees strapaziert wurden.

Wenn Sie einen Eindruck von dieser Sprachvariante bekommen wollen, bietet Ihnen Kölschrock „Verdamp lang her“ oder Karnevalsmusik (meist aus Köln) einen guten Zugang. Zu den bekanntesten der über hundert Evergreens gehören Lieder wie „Et Trömmelche“, und (das nur zum Teil dialektale) „Viva Colonia“.

Unentstehend finden Sie Stücke aus seinem Buch „Jertrud & Hermann. Schmunzelgeschichten von Oma und Opa“ sowie „Oma Jertrud – Schmunzelgeschichten aus dem Rheinland„. Mit großem Dank an Dieter Hermann Schmitz und Verlag zur Nutzung auf dieser Seite.

Schmunzelgeschichten und Einblicke in regionale Mentalität

Textauszüge aus den Mundartbüchern von Dieter Hermann Schmitz „Oma Jertrud. Schmunzelgeschichten aus dem Rheinland“ (Neuauflage 2020) sowie „Jertrud & Hermann. Rheinische Schmunzelgeschichten von Oma und Opa“ (3.Aufl. 2005).

Euregionales Reisen vor Schengen

Menschen in und um Aachen reisten schon über die Grenzen, lange bevor diese so unsichtbar wie heute wurden.  Mehr dazu übrigens in unserem Abschnitt zu Reisen und öffentlichem Nahverkehr. Die Abenteuer früherer Zeiten gibt der folgende Textausschnitt wieder (Dialekt wird in Anführungszeichen wiedergegeben, Übersetzungen ins Hochdeutsche in eckigen Klammern):

Mein Opa und meine Oma wurden auf ihre alten Tage zu eifrigen England-Reisenden: mit dem Zug bis Ostende (Belgien) und auf die Fähre nach Dover.

Solche Reisen glichen immer generalstabsmäßig geplanten Expeditionen. Mein Opa begann mindestens drei Tage vor der Abfahrt damit, Pässe und Fahrkarten bereitzulegen. Unterhosen wurden abgezählt und gebügelt im Koffer verstaut. Der Arzt wurde konsultiert, ob alle Impfungen noch wirksam seien. Für die Reiseapotheke wurden Spalt-Tabletten, Abführmittel und eine Vorratsflasche „4711“ [Parfüm aus Köln] gekauft. Mein Opa kontrollierte im Sechs-Stunden-Takt auf den Fahrplänen vom Reisebüro die Abfahrts- und Ankunftszeiten von Zügen und Fähren, was durch unterschiedliche Ortszeiten ins unermesslich Komplizierte gesteigert wurde.

„Bes dauch net ‚e su iggelisch!“, mahnte dann meine Oma zur Ruhe. Vergebens! [Sei nicht so ungeduldig/nervig]

Die Brötchen wurden ab- und die Lokalzeitung umbestellt. Der Kühlschrank abgetaut. Dann konnte es endlich losgehen. Kurz vor der Abfahrt erfolgte eine letzte Befragung: ob auch an alles gedacht und nichts vergessen worden sei?! Herd aus? Fernseher ausjesteckt? Telefon abjestellt?

Endlich saßen Opa und Oma im Zug, zusammen mit zwei schweren Koffern und einer Tasche mit Reiseproviant, der für drei Wochen gereicht hätte. Kurz nach Aachen erschien dann ein belgischer Zöllner im Zugabteil und wollte die Pässe sehen. Mein Opa suchte in seiner Manteltasche, dann in seiner Rocktasche, schließlich in allen Reisetaschen.

„Ja häste denge Pass net bej disch?“, ärgerte sich meine Oma, was selten genug vorkam. [Ja hast du deinen Pass nicht bei dir?]

„Eh-nee,“ musste mein Opa kleinlaut gestehen, „der litt doheim om Fenste’brett parat!“ – [Eh-nein […] der liegt zu Hause auf dem Fensterbrett bereit]

„Jo, da litt he joot!“, meinte meine Oma. [Ja, da liegt er gut!]

Solche Eskapaden kamen auf ihren Reisen öfters vor.

Süße Fluchten

Aachen, Umland und auch andere euregionale Orte sind bekannt für Ihre Süßwarenproduktion und feinste Konditorspezialitäten, mehr dazu in unserem Abschnitt zur Gastronomie. Nicht zuletzt Schokolade wird hier sehr vielseitig produziert und an Karneval großzügig und tonnenweise in die jubelnde Menge geschmissen. Dass es dennoch nicht immer im Überfluss vorhanden ist, zeigt der folgende Ausschnitt:

Auf die erste Frage von uns Kindern nach Schokolade wurde meist abgeschmettert: „Nee, Jong, höck net!“ [Nein, heute nicht] Minuten später durfte man den zweiten Versuch machen.

“Oma, biste sicher, dat du kein Schokolad’ mehr has’? Jaaanz sicher?”

Dann gab sich Oma den Eindruck, angestrengt nachzudenken. “Isch weeß et mäh net. Am Eng hann isch eres noch im Schaaf…? Isch möht ens luhre jonn?” [Ich weiß es nicht ganz. Am Ende habe ich vielleicht doch noch etwas im Schrank…? ….ich müsste mal gucken gehen. Müsste, sagte sie! Besser zu verstehen als: könnte. Denn tatsächlich gucken zu gehen, fiel ihr zu diesem Zeitpunkt noch nicht ein. Sie tat alles mögliche: Wäsche bügeln, Gläser spülen, Teppichfransen kämmen, auf ihrem Stuhl sitzen und durchs Fenster gucken …. aber auf keinen Fall in irgendwelchen Schränken nachsuchen. Sie erweckte Hoffnungen und ließ uns zappeln. Es war zum wahnsinnig werden. Der Schokoladen-Heißhunger verursachte bereits erste Entzugserscheinungen.

“Oma, wat liescht denn da drüben….?”

Unsere Oma hatte die Gabe, ihre Schokolade so auffällig unauffällig zu verstecken, dass sie einem geradezu ins Auge springen musste. Zum Beispiel unter einem Deckchen auf der Anrichte. Das Deckchen warf Beulen, als würde sich ein Hamster drunter verstecken. Und wenn man Oma auf die “Fundorte” längst verloren geglaubter Schokolade hinwies, spielte sie die Verdutzte:

“Och… Luhr disch dat ens aa’! Jlövste hee litt nauch e’ Stöckelsche he’röm??” [Ach… guck sich das mal einer an! Glaubst du es, hier liegt noch ein Stückchen herum??]

Sie langte unter das Deckchen und holte eine angebrochene Tafel hervor – und brachte damit Kinderaugen zum Leuchten. Die zarteste Versuchung seit es Großmütter gibt! Meine Oma brach sich ein Stückchen Schokolade ab und schob es sich genießerisch in den Mund. Und als wäre diese Frage nötig gewesen, meinte sie: “Jong, willste och e’ Stöckelsche hann?” Ein eiliges, zustimmendes Nicken – und dann war man endlich am Ziel seiner Träume angelangt: EIN Stückchen Schokolade.

Exzerpt aus „Jertrud & Hermann.
Schmunzelgeschichten von Oma und Opa“ von Dieter Hermann Schmitz.

Wetterbedingungen

Aachen wird manchmal verschrien als “Regenloch”. Tatsächlich bedeutet der Stadtname zwar Wasser, es regnet hier aber trotz Kessellage nicht mehr als im Umland und weiten Teilen Deutschlands. Was man dennoch unternehmen kann, zeigt übrigens unser Abschnitt zu Freizeitaktivitäten. So oder so: Das Wetter ist immer Thema für einen Plausch, wie der folgende Ausschnitt zeigt:

Opa Hermann kannte sich in der Weltpolitik aus, Oma Jertrud sich mit Menschen. So ergänzten sie sich irgendwie. Sie saßen oft auf der Bank im Hof und unterhielten sich über Jott und die Welt: Opa pfiff dabei seine Liedchen und drehte Däumchen vor seinem dicken Bauch. Und meinte dann zum Beispiel:

 

“Isch jlöv et widd
düüster.” [Ich glaube es wird dunkel]

“Meens’ de et?” [Meinst du das?]

Dann pfiff Opa ein
Viertelstündchen weiter.

“Is et disch net kaalt,
Oma?” [Ist dir nicht kalt, Oma]

“Isch weeß et net.” [Ich weiß es nicht]

“Wie –  isch weeß et net?” [Wie – ich weiß es nicht?]

“Saare’ me: Nee.” [Sagen wir: Nein]

Zehn Minuten später
meldete sich Opa wieder zu Wort:

“Lott me renn jonn!” [Lass uns ins Haus gehen!]

“Häste att Honger?” [Hast du schon Hunger?]

“Och… net ombedenk’….” [Ach, nicht unbedingt]

“Do lott me nauch jett
waade…” [Dann lass mich noch etwas warten]

“Isch könnt  ävver att jett äeße….” [ihr könnt aber schon etwas essen]

“Jo, do lott me renn jonn.” [Ja, lass uns rein gehen]

Kann es bei den gekrönten Häuptern aus den Grimm’schen Märchen romantischer zugegangen sein? Schwer vorstellbar.

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Schmunzelgeschichten auf Platt

Die hier aufgeführten Exzerpte entstammen den Bänden “Oma Jertrud. Schmunzelgeschichten aus dem Rheinland” sowie “Jertrud & Hermann. Schmunzelgeschichten von Oma und Opa”. Das (Dürener) Platt wird dabei in hochdeutschem Fließtext eingebettet. Vielen Dank an den Autor Dieter Hermann Schmitz und Verlag zur freundlichen Verwendung.

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