Tag 1: Was ist schon normal?
Sie merken es, sobald Sie die deutsch-niederländische Grenze überquert haben: Die Fenster sind offen und haben keine Gardinen oder Rollladen, Menschen sind der Mode ein paar Monate voraus. Fahrradfahrer kommen scheinbar von allen Seiten und der geschäftliche Umgangston wirkt sehr viel lockerer. Vieles ist vertraut, vieles ist anders. Der Grund dafür liegt in der Kultur. Wie bei einem Eisberg ist nur ein kleiner Teil einer Kultur – unser Verhalten – sichtbar. Der weitaus größere Teil – unsere Normen, Werte und Einstellungen – ist unsichtbar, beeinflusst jedoch den sichtbaren Teil. Mehr dazu unten oder in unserer Audiopräsentation “Kultur” im Deutsch-Niederländischen Kontext.
Andersrum sind auch diese Werte und Einstellungen geprägt durch tieferliegende Aspekte – wie Geschichte oder schlicht rechtliche Rahmenbediungen. So ist ein Grund für die vielen Fahrradfahrer “von allen Seiten” auch, dass die Rechtsprechung langezeit prinzipiell dem stärkeren Verkehrsteilnehmer (ergo dem Auto) die Schuld an Unfällen zuwies.
Eine andere Kultur kennenzulernen, ist wie eine kleine Entdeckungsreise: An jeder Ecke wartet eine neue, unbekannte Herausforderung auf Sie. Was im Rahmen dieses Mini-Kurses als unterhaltsam wahrgenommen wird, kann im wirklichen Leben jedoch manchmal anstrengend sein. Erfahrungsgemäß dauert es eine Weile, bis das Fremdeln mit anderen Verhaltensweisen nachlässt. In dieser Zeit können Sie sich verunsichert, verwirrt oder gestresst fühlen. „Kulturschock“ heißt dieses wissenschaftlich erforschte Phänomen. Aber keine Panik: Das ist nichts, worüber Sie sich große Sorgen machen müssten! Es passiert jedem Menschen, der sich zum Arbeiten und/oder Leben ins Ausland begibt.
Kulturschock – Achterbahn der Gefühle
Ein Kulturschock lässt sich in 5 Phasen unterteilen, die üblicherweise als Kurve dargestellt werden, ähnlich wie im Video unten (auf Englisch). Für den Kulturschock für Grenzgänger:innen haben wir ein extra Modul entwickelt.
1. Rosarote Brille:
In der ersten Phase, der Honeymoon-Phase, ist alles prima. Man freut sich auf den neuen Job, vielleicht auf das neue Leben im anderen Land. Man hat hohe Erwartungen und betrachtet alles durch eine rosarote Brille.
2. Alles schwarz sehen:
In der zweiten Phase, der Kulturschock-Phase, fängt es an zu kriseln. Erste Verständigungsschwierigkeiten treten auf. Man fühlt sich zunehmend verunsichert, aus Irritation wird Frustration.
3. Wieder klarer sehen:
In der dritten Phase, der Erholungs-Phase, sieht man Licht am Ende des Tunnels. Erfahrungen werden relativiert und die hohen Erwartungen der Anfangsphase werden realistischer. Man fängt an, sich der anderen Kultur anzupassen.
4. Sehen und verstehen:
In der vierten Phase, der Anpassungs-Phase, wird alles gut. Man fühlt sich mehr und mehr in der anderen Kultur zu Hause und integriert die neue Kultur in den Alltag.
5. Zwei Blickwinkel
Rückkehrerkulturschock: Die fünfte Phase ist die Eigenkulturschock-Phase oder auch Rückkehr-Kulturschock-Phase, die bei Rückkehr ins Heimatland auftritt, z.B. wenn Sie nach einiger Zeit wieder einen Job in Deutschland annehmen. Dann wiederholen sich die vier Phasen.
Der tatsächliche Verlauf dieser Kurve ist individuell und hängt unter anderem davon ab, welche interkulturellen Erfahrungen Sie bereits mitbringen, wie vertraut Sie mit der anderen Kultur sind und ob Sie in die Niederlande ziehen oder abends zurück nach Hause in Deutschland fahren. Sind Sie Grenzpendler und arbeiten Sie lediglich in den Niederlanden, dann bleibt Ihr soziales Umfeld gleich und der Kulturschock beschränkt sich „nur“ auf den Arbeitsbereich. Ziehen Sie in die Niederlande um und schicken Sie z. B. Ihre Kinder in eine niederländische Schule, dann werden Sie mit mehr Veränderungen konfrontiert, sodass die Kurve ausgeprägter ausfallen kann. In allen Fällen gilt: Es geht normalerweise wieder vorbei oder, wie man in den Niederlanden sagt: „Het komt allemaal weer goed“.
Was genau ist eigentlich Kultur?
Es gibt vielfältige Definitionen für „Kultur“ sowie unzählige Metaphern, um Kulturen zu beschreiben. Eines haben sie alle gemeinsam: Sie gehen davon aus, dass nur ein kleiner Teil einer Kultur sichtbar ist. Dazu zählen z. B. die offenen Fenster, die etwas andere Mode oder die Fahrradfahrer, die eine rote Ampel ignorieren. Der weitaus größere Teil einer Kultur jedoch ist unsichtbar: die Normen, Werte und Einstellungen. Diese sind historisch gewachsen, tief verwurzelt und werden – bewusst und unbewusst – von Generation zu Generation weitergegeben. Sie sind also angelernt, nicht angeboren. Diese Faktoren beeinflussen, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen und was wir tun. Und: Sie fühlen sich so normal und selbstverständlich an, dass wir uns ihrer gar nicht bewusst sind. Das ändert sich erst durch den Kontakt mit Menschen aus einer anderen Kultur – z. B., wenn Sie einen Job in den Niederlanden annehmen. Die gelernten Verhaltensweisen, über die Sie in Deutschland normalerweise nicht nachdenken, greifen auf einmal nicht mehr. In den Niederlanden gelten halt andere Spielregeln. Logisch, denn die historische Entwicklung ist eine andere und somit haben sich auch andere Verhaltensweisen und Mentalitäten gebildet. Diese werden Sie in den kommenden Tagen kennenlernen.
Kulturunterschiede zu den Niederlanden gibt es viele – manche sind eher klein, andere größer. Aber einer springt sofort ins Auge: die flachen niederländischen Hierarchien. In den nächsten Tagen werden wir uns damit auseinandersetzen und immer wieder einen anderen Aspekt beleuchten. Heute ist das der Einfluss der flachen niederländischen Hierarchien auf den Umgang miteinander.
Mehr dazu auch in unseren Audiopräsentationen Niederlande “Arbeitsalltag” sowie ebd. “Kernwerte“
Flache Hierarchien – bleiben Sie locker
In den Niederlanden sind die Dienstwege kurz – und die Hierarchien so flach wie ein Großteil des Landes. Der ausgeprägte Egalitarismus führt dazu, dass man informell und gleichzeitig respektvoll miteinander umgeht. Geschäftspartner, Vorgesetzte oder Kolleginnen und Kollegen – über alle Ebenen hinweg spricht man einander schnell mit Vornamen und „Du“ an. Das „Du“ wird nicht explizit angeboten, sondern erfolgt quasi von selbst. Das ist jedoch kein Zeichen von Freundschaft! Es entspricht vor allem der Art und Weise, wie man in den Niederlanden auf Augenhöhe kommuniziert und eine harmonische Beziehung pflegt. Sie werden merken: Viele Niederländer wissen zwar, dass man in Deutschland normalerweise siezt, tun sich aufgrund ihrer eigenen kulturellen Prägung jedoch schwer damit. Unser Tipp: Nehmen Sie das „Du“ locker und freuen Sie sich über die entspannte Atmosphäre.
Mehr dazu auch in unserer Audiopräsentation: Niederlande: “Kommunikation“
„Doe maar gewoon …” – einfach normal tun
Wir schreiben das Jahr 1949. Zwei hohe US-amerikanische Beamte besuchen die Niederlande, um zu prüfen, ob die Gelder der Marshall-Hilfe zweckgemäß und ordentlich verwendet werden. Durch eine Verzögerung kommen die Herren erst am Sonntag in den Niederlanden an. Das Ministerium ist an diesem Tag – wie üblich – geschlossen und der damalige Ministerpräsident Willem Drees findet es schade, es extra für diesen Besuch zu öffnen und zu heizen. Deshalb lädt er die Delegation zu sich nach Hause in sein Reihenhaus ein. Als die Herren eintreffen, kommt es zunächst zu einem Missverständnis: Sie denken, dass der Mann, der ihnen die Tür öffnet, ein Butler ist. Es ist jedoch der Ministerpräsident selbst! Wenig später präsentiert Frau Drees Tee mit einfachen Keksen. Als die Beamten gehen, wendet sich der eine Beamte mit den historischen Worten an seinen Kollegen: „In einem Land, dessen Minister-präsident so wohnt und lebt, ist unser Geld gut angelegt.“ Die Niederlande können ihre Marshall-Hilfe behalten.
Diese bekannte Anekdote ist exemplarisch – sowohl für die Sparsamkeit der Niederländer als auch für den Mangel an Statusbewusstsein. Dies gilt sowohl für äußerliche Statussymbole – Kleidung, Luxusausstattung, Autos – als auch für das Führen akademischer Titel oder die Verwendung von Fachvokabular. Auch Vorgesetzte sind in ihrer Kleidung oft kaum von ihren Mitarbeitern zu unterscheiden. Man schlüpft auf der Arbeit weniger in eine professionelle Rolle, sondern ist möglichst authentisch und zeigt seine Persönlichkeit. „Doe maar gewoon, dan doe je al gek genoeg“ (auf Deutsch: Benimm dich normal, das ist schon verrückt genug), so lautet die Devise. Wie beim Eisberg stecken hinter diesen sichtbaren Aspekten der niederländischen Kultur Normen und Werte, die schon vor langer Zeit entstanden sind.
Gemeinsamer Kampf gegen das Wasser
In den Niederlanden pflegt man seit vielen Jahrhunderten einen entspannten Umgang mit Hierarchien. Das geht auf den Kampf gegen das Wasser zurück: Bei Hochwasser bekommen in den flachen und wasserreichen Niederlanden alle nasse Füße. Daher krempelt man gemeinsam die Ärmel hoch, ohne zwischen Rang und Stand zu unterscheiden. Entwicklungen wie ein starkes Bürgertum und der protestantische Calvinismus haben dies noch verstärkt. Der Calvinismus geht zurück auf Calvin, einen französisch-schweizer Reformator, der in den Niederlanden den größten Einfluss hatte. Ein Grundsatz seiner Lehre bestand darin, dass alle Menschen vor Gott gleich seien. Dieser Grundsatz passte hervorragend zu den ohnehin egalitären Strukturen und prägen diese, obwohl die Wirkung inzwischen abgemildert ist, bis heute.
Genießen Sie Ihr “theetje” mit einem “koekje” und bis morgen.
Nachdem wir uns gestern bereits mit den flachen Hierarchien beschäftigt haben, gehen wir heute noch etwas tiefer auf das Thema ein. Denn die Auswirkungen beeinflussen die niederländische Arbeitskultur maßgeblich – und damit auch die Art und Weise, wie man Besprechungen abhält und Entscheidungen trifft.
Entscheidungen im Konsens
Die Grenzen zwischen den Kompetenzen sind in den Niederlanden fließender, als Sie es in Deutschland gewohnt sind. Entscheidungen werden bevorzugt im Einvernehmen mit dem Team getroffen. Dabei erwartet man von den Teammitgliedern Eigeninitiative und Mitdenken. Diese Art der Entscheidungsfindung dauert gelegentlich etwas länger, hat jedoch einen großen Vorteil: Die Tragfähigkeit einer Entscheidung ist größer.
Einem Sachbearbeiter mit fachlicher Expertise werden schneller Entscheidungskompetenzen übertragen als in Deutschland, sogar bei Verhandlungen. Wundern Sie sich also nicht, wenn man auch Ihnen recht schnell Entscheidungskompetenzen überträgt oder wenn Sie es bei Verhandlungen (in erster Linie) mit einem Sachbearbeiter oder einer Sachbearbeiterin zu tun haben. Im niederländischen Kontext ist das vollkommen normal und kein Zeichen geringerer Wertschätzung.
Meetings – planen Sie viel Zeit ein!
Die flachen Hierarchien und das Streben nach Konsens führen dazu, dass jede Stimme gehört werden will. Daher werden Sitzungen auf Niederländisch auch häufig „overleg“ genannt. Darin erkennt man das deutsche Wort „überlegen“ wieder, also eine Sache noch einmal durchdenken. Das gemeinsame Durchdenken bedeutet übrigens nicht, dass jeder unbedingt recht haben will! Es geht tatsächlich darum, alle Meinungen mit dem Ziel einzusammeln, eine möglichst große Übereinstimmung zu erreichen. Planen Sie also genügend Zeit ein und behalten Sie eins im Auge: Ein einmal gefasster Beschluss ist nicht immer endgültig …
Nicht im Gesetzbuch und trotzdem grundlegend: Das „wet van het voortschrijdend inzicht“
Sind Sie es gewohnt, dass einmal getroffene Entscheidungen in Stein gemeißelt und nur im äußersten Notfall noch einmal rückgängig gemacht oder angepasst werden? Dann werden Sie sich bei Ihrer Zusammenarbeit mit Niederländern etwas umstellen müssen. Denn in den Niederlanden wird bei Projekten häufig das sogenannte „Gesetz der neu gewonnenen Erkenntnisse“ oder in Niederländisch „de wet van het voortschrijdend inzicht“ angewendet. Es ist eine besondere Regel – sie steht in keinem einzigen Gesetzbuch – und bedeutet schlichtweg, dass Planungen und Entscheidungen nachjustiert werden, wenn die alte Planung bzw. Entscheidung durch aktuelle Entwicklungen überholt ist. Seien Sie also darauf gefasst, dass Ihre niederländischen Geschäftspartner oder Teamkolleginnen in der nächsten Sitzung auf eine Entscheidung zurückkommen wollen – es heißt ja nicht umsonst „overleg“ … 😉.
Übrigens …
Sie ahnen es vielleicht schon: In puncto Besprechungen ist man in den Niederlanden ebenfalls meist etwas lockerer als in den meisten Branchen in Deutschland. Zwar gibt es auch in den Niederlanden eine Tagesordnung, der Umgang damit ist jedoch etwas flexibler. Und auch die Sitzordnung spiegelt nicht unbedingt die hierarchischen Positionen wider.
Weiter geht es mit Ihrer Entdeckungstour durch die niederländische Arbeitskultur. Heute dreht sich alles um das Thema „Mitarbeitende Führen und geführt werden“.
Beantworten Sie zur Einstimmung für sich selbst in Gedanken folgende Fragen:
- Wie sprechen Sie Ihre Führungskraft an: mit „Herr“ bzw. „Frau“ plus Nachnamen und ggf. Titel oder mit Vornamen?
- Erwarten Sie von Ihrer Führungskraft, dass sie einen teuren Anzug oder ein Kostüm trägt? Oder sollte sie eher leger gekleidet im Büro erscheinen?
- Wie wäre es für Sie, wenn Ihr Chef oder Ihre Chefin mit dem Fahrrad statt mit dem Audi A8 zur Arbeit käme?
- Erwarten Sie, dass Ihr Vorgesetzter oder Ihre Vorgesetzte Ihnen Freiräume lässt, um eigenständig zu arbeiten, oder fühlen Sie sich mit klaren Anweisungen wohler?
Ihre Antworten hängen nicht nur von Ihren persönlichen Präferenzen ab. Sie haben meistens auch etwas mit Ihrer kulturellen Prägung zu tun.
Die Rolle von Führungskräften in den Niederlanden
Der Chef sitzt in der Mittagspause am selben Tisch und unterhält sich entspannt mit den Mitarbeitern – ein ungewohnter Gedanke? In den Niederlanden ist eine solche Situation völlig normal. Die Distanz zur Führungskraft ist bei unseren Nachbarn gering. Es ist nicht unüblich, dass ein Manager auch mal leger gekleidet mit dem Fahrrad ins Büro kommt. Chef und Mitarbeiter begegnen sich und kommunizieren auf Augenhöhe. Die niederländische Arbeitskultur ist – im Gegensatz zur deutschen – egalitär, weswegen Hierarchien im Alltag eine geringe Rolle spielen. Das heißt übrigens nicht, dass es keine gibt! Auch in niederländischen Unternehmen und Organisationen gibt es Hierarchien, sie sind nur weniger sichtbar und flacher.
Niederländische Führungskräfte sind häufig keine Facharbeiter, die im Laufe der Zeit Karriere gemacht und Führungsaufgaben übertragen bekommen haben. Stattdessen sind sie meistens Generalisten mit wenig fachlichen und mehr strategischen Aufgaben. Sie halten das Team zusammen und geben den Rahmen vor, in dem Mitarbeiter eigenständig und ohne ständige Rücksprache arbeiten können. Für technische Details sind sie daher auf die Expertise ihrer Mitarbeiter angewiesen – und erwarten dann auch, dass sie sich melden, wenn dies notwendig sein sollte. Der Führungsstil ist in den Niederlanden eher coachend. Führungskräfte achten darauf, Mitarbeiter zu inspirieren und gemäß ihren Talenten und Ambitionen zu fördern.
Anderes Führungsverständnis – andere Erwartungen
Niederländische Führungskräfte haben also eine bestimmte Erwartungshaltung an ihre Mitarbeiter: Diese sollen selbstständig und mündig sein sowie Initiative zeigen. Umgekehrt erwarten niederländische Mitarbeiter von Ihrer Führungskraft, dass diese nicht ständig über die Schulter mitschaut, sondern ihnen das Gefühl gibt, selbst (mit)entscheiden zu dürfen. Das Rollenverständnis ist gleichberechtigt – und das hat auch Folgen für die Kommunikation. Dazu morgen mehr.
Egal ob Führungsstil oder ein anderes Thema: Unterschiedliche Erwartungen gehören zu den häufigsten Quellen von Missverständnissen. Das gilt natürlich auch innerhalb der eigenen Kultur, aber erst recht für die Zusammenarbeit mit Menschen aus anderen Kulturkreisen. Wenn Ihnen etwas merkwürdig vorkommt, überprüfen Sie also zuerst Ihre eigene Erwartungshaltung. So können Sie Missverständnisse anders einordnen oder sogar auflösen.
Zum Nachhören auch die Aspekte “Kernwerte”, “Kommunikation” und “Arbeitsalltag” in unseren Audiopräsentationen.
Heute werden wir uns mit dem Thema Kommunikation auseinandersetzen, also mit der Art und Weise, wie wir miteinander sprechen und Botschaften vermitteln. Sie ahnen es bestimmt schon: Auch da gibt es Unterschiede zwischen Deutschen und Niederländern.
Versteckte Botschaften
Wenn wir miteinander sprechen, vermitteln wir Botschaften. Wir bitten um einen Gegenstand, wir fragen nach dem Weg oder wir möchten jemanden auf etwas hinweisen. Botschaften vermitteln wir nicht nur durch Worte, sondern auch durch Mimik, Gestik und Tonlage. Die konkrete Botschaft nennen wir den Sachaspekt, z. B. die Wasserflasche, die wir gereicht bekommen wollen. In der Art und Weise, wie wir darum bitten, schwingt jedoch noch etwas anderes mit: die soziale Beziehung zur anderen Person. Das nennt man den Beziehungsaspekt.
Bleiben wir beim Beispiel der Wasserflasche. Eine rein sachliche Aufforderung wäre: „Reichen Sie mir die Wasserflasche“. Eine Frage, in der der Beziehungsaspekt mitschwingt, wäre: „Wären Sie so freundlich, mir bitte einmal die Wasserflasche zu reichen?“.
In Deutschland reicht es häufig aus, zur rein sachlichen Aufforderung „Bitte“ hinzuzufügen: „Reichen Sie mir bitte die Wasserflasche“. Aus deutscher Sicht ein höflicher Satz. Mehr braucht es nicht, um jemanden um etwas zu bitten oder – im Arbeitsbereich – jemandem eine Anweisung zu geben. Generell gilt die deutsche Kultur als sehr sachbezogen bzw. sachorientiert, während die niederländische im Vergleich dazu etwas beziehungsorientierter ist.
In einem Satz wie „Reichen Sie mir bitte die Wasserflasche“ fehlt aus niederländischer Sicht der Beziehungsaspekt. Für Niederländer ist der Beziehungsaspekt etwas wichtiger, auch im Arbeitsbereich. Daher hat ein Vorgesetzter, der seine Mitarbeiter mit solchen Sätzen zum Handeln auffordert, in den Niederlanden schlechte Karten. Ihm wird sofort vorgeworfen, einen Befehlston zu hantieren und keinen Respekt zu zeigen. Zum gleichberechtigten Rollenverständnis (siehe Tag 4) gehört nun mal, dass Mitarbeiter gefragt werden wollen, ob sie etwas tun können.
Umgekehrt sollte man als Mitarbeitende hellhörig werden, wenn eine Führungskraft sagt „Finden Sie es eine gute Idee, wenn wir morgen kurz über Ihre Präsentation schauen?“. Das ist nämlich keine Einladung zu einem gemütlichen Plausch. Übersetzt heißt eine solche freundlich klingende Aufforderung vielmehr „Ich bin nicht zufrieden und möchte morgen mit Ihnen über Verbesserungspunkte sprechen“.
Dieser Unterschied hat für eine gelungene Kommunikation mit Niederländern eine sehr große Bedeutung und es ist wichtig, ihn zu kennen und zu verstehen. Auch wenn Niederländer sonst gerne eine klare Sprache benutzen, kommunizieren sie in diesem Bereich eher indirekt. Damit die Harmonie und der wichtige Wert der Gleichberechtigung gewährt bleiben.
Brechen Sie das Eis mit ein wenig Humor
Während der Arbeit und im Geschäftsleben schlüpfen Niederländer weniger in eine professionelle Rolle als in Deutschland, sondern bleiben möglichst authentisch. Witze erzählt man sich daher nicht nur im Privatleben, sondern auch am Arbeitsplatz. Selbstironie ist dabei wichtig: Man macht sich gern über die eigene Person oder über Personen mit (angeblichem) Status lustig.
Der Eintritt der niederländischen Rabobank in den deutschen Markt wurde durch einen Werbespot mit vielen Klischees und Selbstironie über die Niederlande begleitet. Ein gewagtes Unterfangen für eine Bank – in Deutschland immerhin der Inbegriff einer Branche, die mit Tradition und Seriosität assoziiert wird. Der Werbespot kam jedoch gut an, vermutlich auch, weil Niederländer nun einmal den Ruf haben, manchmal etwas unkonventionell zu sein. Nachschauen können Sie den Rabobank-Spot auf YouTube unter https://www.youtube.com/watch?v=tZOThJ6Rx60.
In den Niederlanden werden Witze häufig auch eingesetzt, um das Eis zu brechen. Aber lassen Sie sich nicht täuschen: Auch wenn man die Geschäftsverhandlungen mit einem Kaffee und einem lockeren Plausch beginnt, sind und bleiben Niederländer geschickte und harte Verhandlungspartner.
Wäre es ein Ideechen, bis morgen Folgendes vorzubereiten?
Niederländer sind dafür bekannt, sehr direkt zu sein und kein Blatt vor dem Mund zu nehmen. Gewissermaßen als Ausgleich und damit es auf der Beziehungsebene dennoch „gemütlich“ bleibt, verwendet man gern Verkleinerungsformen und Understatement. Man geht in der Mittagspause ein „broodje“ (Brötchen) essen und trinkt dazu ein „glaasje“ (Gläschen) Milch oder Buttermilch. Anschließend tätigt man ein „telefoontje“ (Anruf) mit einem Geschäftspartner oder führt ein „onderonsje“ (Gespräch unter vier Augen) mit einem Mitarbeiter, mit dessen Arbeit man „niet zo blij“ (nicht so froh, also unzufrieden) ist. Auf Deutsche kommt das häufig eher „niedlich“ und nicht seriös herüber. Für Niederländer ist diese Ausdrucksweise jedoch vollkommen normal. Erwarten Sie also keinen Mini-Kaffee, wenn man Ihnen ein „kopje koffie“ (Tässchen Kaffee) anbietet!
Nahbarkeit: Erzählen Sie über sich
In den Niederlanden sind nicht nur die Umgangsformen informeller. Man erzählt einander schneller Privates über sich. Dies gilt sowohl für den Umgang unter Kollegen als auch für die Beziehung zum Geschäftspartner. Vor der eigentlichen Besprechung wird gerne erst einmal ein „Käffchen“ – Kaffee ist das niederländische „Schmiermittel“ schlechthin – getrunken und über das letzte Wochenende, den Urlaub oder etwas anderes gesprochen. Erst dann fängt die Besprechung oder Verhandlung an. Das Ziel: Man möchte sich gerne auch (ein wenig) als Person kennenlernen und Gemeinsamkeiten entdecken. Das erleichtert das Miteinander und lockert ganz nebenbei die Atmosphäre.
Erinnern Sie sich noch an den Eisberg, den Sie am 1. Kurstag kennengelernt haben? In all den Bereichen, die wir in den letzten Tagen haben Revue passieren lassen, können Sie einen klaren Unterschied zwischen sichtbaren und unsichtbaren Aspekten der niederländischen Kultur ausmachen. Sichtbar sind z. B. der Führungs- sowie der Kommunikationsstil, die Entscheidungsfindung oder der Mangel an Statusbewusstsein. Unsichtbar sind die Normen und Werte, die diesen Aspekten zugrunde liegen, wie z. B. Bescheidenheit, Gemeinsamkeit oder Vertrauen. Natürlich gibt es diese Werte in Deutschland auch! Sie werden in den Niederlanden jedoch anders mit Leben gefüllt und haben eine andere Priorisierung.
Zum Nachhören auch unsere Audiopräsentation “Kommunikation“
Heute dreht sich alles um das Thema „Umgang mit Regeln, Strukturen und Behörden“.
Bleiben Sie flexibel
Ist für Sie nur das Beste gut genug? Oder reicht auch ein „Gut“? In Deutschland strebt man normalerweise das beste Ergebnis an. Um das zu erreichen, gelten Strukturen und Regeln als hilfreich. Dahinter steckt das Bedürfnis nach einer klaren und zuverlässigen Orientierung, nach Kontrolle über eine Situation, nach Risikominimierung und nach der Beseitigung von (möglichen) Störungen und Fehlerquellen. Vieles ist dann auch klar und explizit geregelt – man weiß eben, wo man dran ist.
In den Niederlanden ist dieses Bedürfnis weniger stark ausgeprägt. Natürlich gibt es auch im Nachbarland Strukturen, Kontrolle und ein Streben nach optimalen Ergebnissen. Man geht damit jedoch pragmatischer und flexibler um, vor allem im Geschäftsleben. Blättern Sie doch noch einmal zu Tag 3 zurück und lesen Sie nach, was im Absatz unter „Gesetz der neu gewonnen Erkenntnisse“ steht. Darin steht unter anderem, dass „Planungen und Entscheidungen nachjustiert werden, wenn die alte Planung bzw. Entscheidung durch aktuelle Entwicklungen überholt ist.“ Nicht selten fangen Niederländer mit einem Projekt schon einmal an, auch wenn es vielleicht noch nicht bis ins letzte Detail durchdacht ist. In der Hinsicht sind Niederländer risikobereiter und auch offener für neue Entwicklungen. Ein Bereich, in dem dies besonders klar wird, ist die Digitalisierung.
Denken Sie digital
Die Digitalisierung ist in den Niederlanden deutlich weiter fortgeschritten. Zahlreiche Prozesse und Systeme sind digitalisiert, auch in Schulen, im Gesundheitswesen und bei Behörden. Niederländer informieren sich stärker als Deutsche online und sind es schon seit Jahren gewohnt, dass die Kommunikation durch und mit Unternehmen, Organisationen und Behörden digital stattfindet. Gleiches gilt für Themen wie „elektronisches Banking“ – ein Grund, warum es im niederländischen Straßenbild kaum noch Bankfilialen gibt. Da die Internetnutzung in den Niederlanden – auch bei Älteren – höher liegt als in Deutschland, ist dies meistens kein großes Problem bzw. man hat sich schon längst daran gewöhnt.
Aus niederländischer Sicht liegen die Vorteile auf der Hand: Kommunikation ist jederzeit möglich, Daten sind an einem zentralen Ort abgespeichert und einsehbar, Kosten werden reduziert. Dies führt jedoch auch dazu, dass der persönliche Ansprechpartner oder die Sachbearbeiterin des Finanzamts oder der Bank schon längst eingespart wurde. Stattdessen gibt es – auch bei Behörden – zentrale Telefonnummern, elektronische Kontaktformulare oder manchmal sogar eine WhatsApp-Nummer, an die man sich mit allgemeinen Fragen wenden kann. Das Faxgerät, vertrauter Begleiter in vielen deutschen Behörden und Unternehmen, ist in den Niederlanden schon längst ein Museumsstück.
Bleiben Sie entspannt, wenn der Ansprechpartner wechselt
Wenn Sie nun meinen, dass es in den Niederlanden weniger Bürokratie gibt, müssen wir Sie jedoch leider enttäuschen: Auch die Niederlande sind ein recht bürokratisches Land. Allerdings geht man in den Niederlanden mit dem Thema Kompetenzeinhaltung meistens etwas flexibler um. Es kann durchaus passieren, dass Sie es – auch bei Behörden – mit wechselnden Ansprechpartnern zu tun haben. Klar, auch in Deutschland werden bei Urlaub oder Krankheit Aufgaben von Kollegen oder Kolleginnen übernommen. Man ist darin jedoch zurückhaltender als in den Niederlanden: Zuständigkeiten und damit die Verantwortung sind in Deutschland meist strikter geregelt als bei den niederländischen Nachbarn. In den Niederlanden packt man, wenn möglich, gemeinsam an – Hauptsache, die Angelegenheit wird geregelt.
Zum Nachhören auch unsere Audiopräsentation “Arbeitsalltag“
Heute steht das Thema Feedback bzw. „Kritik äußern“ im Mittelpunkt. Ein sensibler Bereich, in dem durch Fehlinterpretationen schnell Missverständnisse entstehen können.
Direktheit ja, Konflikt eher nein
Auch wenn Niederländer für ihre Direktheit bekannt sind, versuchen Sie häufig, Äußerungen etwas abzumildern, um die Beziehungsorientierung nicht zu gefährden. So wird Kritik zwar direkt geäußert, normalerweise jedoch nicht vor versammelter Mannschaft, sondern unter vier Augen. Zudem sind Vorgesetzte bemüht, kritische Kommentare in einen netten und lockeren Ton zu verpacken, und achten darauf, keine Vorschriften zu machen (siehe dazu auch Tag 5 unter „Versteckte Botschaften“), sondern gemeinsam Entwicklungspotenziale auszuloten.
Persönliche Entwicklung erwünscht
Mitarbeitergespräche finden mindestens einmal im Jahr statt mit dem Ziel, sowohl die Leistung des Mitarbeiters als auch die Zusammenarbeit zu verbessern. Obwohl Fehler angesprochen werden und der Ton auch sehr direkt sein kann, liegt der Fokus auf dem Ausbau vorhandener Potenziale. Diese können in einem Persönlichen Entwicklungsplan (in Niederländisch: Persoonlijk Ontwikkelings Plan, abgekürzt POP) zusammengefasst werden. Wie bereits an Tag 4 unter „Die Rolle von Führungskräften in den Niederlanden“ erwähnt, ist der niederländische Führungsstil eher coachend und darauf ausgerichtet, Talent zu fördern und Mitarbeiter zu motivieren.
Fehlerkultur
Kennen Sie das Sprichwort „Wo gehobelt wird, da fallen Späne“? Auch in den Niederlanden ist es ein bekanntes Sprichwort („waar gehakt wordt, vallen spaanders“), das man am Arbeitsplatz regelmäßig hören kann: immer dann, wenn jemandem ein Fehler unterlaufen ist. Im Allgemeinen ist der Umgang mit Fehlern in den Niederlanden etwas entspannter als in Deutschland. Man geht davon aus, dass Fehler nicht mit Absicht gemacht werden und eben passieren können. Wichtig ist, dass Sie nicht versuchen, Fehler aus Angst zu vertuschen, sondern ehrlich damit umgehen und daraus lernen, damit es nicht wieder vorkommt. Aus niederländischer Sicht führen Angst und der Hang nach Perfektion, der häufig damit einhergeht, eher zu mehr als zu weniger Fehlern. Man geht einfach davon aus, dass jeder sein Bestes gibt und geht pragmatisch vor, wenn Fehler passieren.
Zum Hören auch unsere Audiopräsentation “Kernwerte“
Heute beleuchten wir, welche Kontaktmöglichkeiten Sie außerhalb Ihres (physischen) Arbeitsplatzes haben.
Netzwerken und borrellen
Woran erkennen Sie bei einem Netzwerktreffen, ob jemand Niederländer oder Deutscher ist? Die Niederländer stellen sich an einen Stehtisch, gehen aktiv aufeinander zu, reden miteinander und tauschen Visitenkarten aus. Obwohl man sich erst seit fünf Minuten kennt, ist die Atmosphäre – Sie ahnen es bereits – locker und entspannt: Es wird viel gelacht und – klar – man duzt einander. Viele Deutsche hingegen sind zurückhaltend und warten oft, bis jemand auf sie zukommt. Auch die Gesprächsatmosphäre ist unter Deutschen in erster Linie häufig etwas formeller als unter Niederländern. Wenn Sie also bisher ein eher zurückhaltender Netzwerker waren, dann überwinden Sie beim Kontakt mit Niederländern Ihre Scheu und gehen Sie aktiv auf die Menschen zu. Sie werden feststellen, dass Sie auf diese Weise schnell neue Kontakte gewinnen.
Soziale Medien
In den Niederlanden ist das geschäftliche soziale Netzwerk LinkedIn – Xing richtet sich ausschließlich auf den deutschsprachigen Raum. Überlegen Sie sich also, zumindest ein englisches, besser noch ein niederländisches LinkedIn-Profil einzurichten, damit Sie auch von Ihren niederländischen Geschäftspartnern oder Teamkolleginnen gefunden werden und diese selbst aktiv kontaktieren können. Auch Twitter ist in den Niederlanden weit verbreitet und wird gern im geschäftlichen Bereich genutzt. Schneller als mit 140 Zeichen erreichen Sie Ihre Kontakte nicht!
„Borrelen“ am Freitagnachmittag
In vielen niederländischen Unternehmen hat es Tradition: Am Freitagnachmittag trinkt man gemeinsam etwas und lässt die Woche entspannt ausklingen. „Borrelen“ heißt dieses Phänomen in Niederländisch. Dabei wird nicht nur ein (alkoholfreies) Bierchen oder etwas anderes getrunken – es werden auch frittierte Häppchen wie „Bitterballen“ (kleine, runde, mit Fleischragout gefüllte und frittierte Bällchen), Käse oder Knabbergebäck serviert. Es ist eine nette und unkomplizierte Gelegenheit, Kollegen und Führungskräfte besser kennenzulernen, die Sie auf jeden Fall wahrnehmen sollten.
Geburtstage feiern auf Niederländisch
Einmal im Jahr ist es so weit: Mann oder Frau feiert Geburtstag! Die Kollegen und Kolleginnen freuen sich über ein Stück Kuchen und sammeln Geld für ein Geschenk oder einen Gutschein. Haben Sie sich auf der Arbeit mit einem netten Kollegen oder einer netten Kollegin angefreundet, dann kann es sein, dass Sie auch zur privaten Geburtstagsfeier eingeladen werden. Eine solche Einladung sollten Sie unbedingt annehmen, doch aufgepasst: Es droht die „Erwartungsfalle“. Denn niederländische Geburtstagsfeiern haben so ihre Eigenheiten …
Das fängt damit an, dass man in den Niederlanden nicht nur dem Geburtstagskind gratuliert, sondern auch den anwesenden Familienmitgliedern, Verwandten und Freunden. Das klingt dann so: „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag von z. B. Jan“. Vermutlich sind die Niederländer das weltweit einzige Volk mit dieser besonderen Tradition! Auch von Ihnen wird erwartet, dass Sie die Runde machen und allen Anwesenden gratulieren. Die Runde dürfen Sie wortwörtlich nehmen, denn die Gäste sitzen meistens im Stuhlkreis. Dieser wird im Laufe des Abends größer oder kleiner, je nachdem. Serviert werden neben einem Stück Kuchen – und bei diesem einen Stück bleibt es normalerweise, der Calvinismus lässt grüßen! – Häppchen, ähnlich wie beim „Borrelen“ am Freitagnachmittag. Kurz gesagt, niederländische Geburtstagsfeiern sind eine eher pragmatische und wenig aufwendige Angelegenheit, bei der das gemütliche Beisammensein im Vordergrund steht. Zum Essen bzw. zu einem üppigen Buffet oder Grillen werden Sie normalerweise nicht eingeladen – das Abendessen fällt in den Niederlanden stark in den privaten Bereich. Und wiederum: Im eher “südländischen” Zuid-Limburg sind manche Dinge durchaus anders und ähneln öfter den Normalitäten in Belgien oder Deutschland. Dennoch hat die niederländische Nationalkultur auch hier großen Einfluss.
Bei einem Geschenk bleibt dann doch alles beim Alten: Ebenso wie deutsche Geburtstagskinder, freuen sich auch Niederländer und Niederländerinnen über eine Flasche guten Weins, einen originellen Gutschein o. ä.
Zum Weiterhören auch unsere Audiopräsentation “Lebensstile“
der letzte Tag des Mini-Kurses ist angebrochen. Damit ist es Zeit, diesen Mini-Kurs abzurunden. Bisher haben wir uns damit auseinandergesetzt, was Kultur eigentlich ist und welche kulturellen Unterschiede zu Niederländern bestehen. Heute lernen Sie eine Methode kennen, die Ihnen im Alltag helfen kann, sich in die Perspektive des Gegenübers zu versetzen und Ihre eigenen Annahmen zu hinterfragen. Die Methode heißt DIVE. Diese Abkürzung steht für:
- Describe – Beschreiben
- Interpret – Interpretieren
- Verify – Überprüfen
- Evaluate – Bewerten
Wie können Sie diese Methode einsetzen?
Stellen Sie sich die folgende Situation vor:
Sie arbeiten seit einiger Zeit als Führungskraft in einem niederländischen Unternehmen und haben eine Sekretärin, die Ihnen zuarbeitet. Allerdings läuft die Zusammenarbeit alles andere als rund: Aus Ihrer Sicht widerspricht sie ständig und tut einfach, wie es ihr gefällt. Neuerdings gab es wieder Ärger wegen einer wichtigen Präsentation. Sie sind morgens ins Büro gekommen und haben ihre Sekretärin aufgefordert, sofort den Raum für die Präsentation zu checken. Außerdem müsse sie unverzüglich prüfen, ob Laptop und Beamer verfügbar seien. Daraufhin hat die Sekretärin geantwortet, dass sie zuerst etwas fertigstellen und sich dann kümmern würde. Eine Frechheit! Ihnen ist der Kragen geplatzt…
(vorschnelle) Interpretation
Soweit die Beschreibung. Eine deutsche Führungskraft würde erwarten, dass eine Sekretärin tut, was ihr gesagt wird: die eigene Arbeit liegenlassen und sofort prüfen, ob der Raum ordentlich vorbereitet ist. Da sie das nicht tut, gehen Sie davon aus, dass die Sekretärin arrogant und für den Job ungeeignet ist. In Ihren Augen ist das Verhalten der Sekretärin wie eine Arbeitsverweigerung – Grund zur Kündigung oder auf jeden Fall eine Abmahnung.
Perspektivwechsel
Wechseln Sie nun bewusst die Perspektive, dann können Sie sich fragen, welche Interpretation es sonst geben könnte. Vielleicht erinnern Sie sich an die Beziehungsorientierung (Tag 5) und überlegen sich, dass in den Niederlanden der Ton die Musik macht. Vielleicht überlegen Sie sich auch, dass niederländische Mitarbeitende ein gleichberechtigtes Rollenverständnis haben und daher gerne das Gefühl haben möchten, mit entscheiden zu dürfen (Tag 4). Möglicherweise erinnern Sie sich auch noch daran, dass selbstständiges Arbeiten in den Niederlanden einen hohen Stellenwert hat (Tag 4) und Mitarbeitende daher schon wissen, wie sie ihre Arbeit einteilen und erledigen sollen.
Im nächsten Schritt versuchen Sie, diese Interpretationen zu überprüfen. Sie könnten andere Personen um eine Einschätzung bitten und fragen, wie normalerweise mit Sekretärinnen kommuniziert und umgegangen wird. All das kann Ihre Bewertung der Situation verändern: Wenn Sie davon ausgehen, dass Ihre Sekretärin arrogant und ungeeignet ist, sind Sie vermutlich verärgert und investieren nicht mehr viel in die Beziehung. Kommen Sie durch die anderen Interpretationen jedoch zum Schluss, dass Ihre niederländische Sekretärin gerne als Mensch wahrgenommen werden möchte, es gewohnt ist, selbstständig zu arbeiten und schon weiß, wie und wann sie ihre Arbeit erledigt, dann sehen Sie die Situation (und Ihre Rolle als Führungskraft) in einem anderen Licht. Möglicherweise versuchen Sie beim nächsten Mal einfach freundlich zu bitten, ob sie Zeit für einen Raum- und Technikcheck hätte, und dass Ihnen dabei in Anbetracht der Wichtigkeit der Präsentation sehr geholfen wäre.
Könnte etwas Nettes dahinterstecken?
Unsere Empfehlung: Gehen Sie in jeder missverständlichen Situation zunächst von einer positiven Absicht Ihrer Gesprächspartner aus und überlegen Sie sich, ob kulturelle Aspekte eine Rolle spielen könnten. Probieren Sie dann die DIVE-Methode aus und beobachten Sie, welche Erkenntnisse Sie gewinnen können.
Damit sind wir am Ende dieses Mini-Kurses. Wir hoffen, Sie konnten viele nützliche Erkenntnisse gewinnen. Auch wenn in diesem Mini-Kurs der Fokus auf kulturellen Unterschieden lag, lohnt es sich, an dieser Stelle noch einmal die Perspektive zu erweitern und „herauszuzoomen“: Schaut man aus der Distanz auf Deutschland und die Niederlande, dann erkennt man, dass sich die beiden Nachbarländer manchmal auch sehr ähnlich sind, zum Beispiel in den Bereichen Arbeitsmentalität, Pünktlichkeit oder Organisiertheit. Sollten Sie am Anfang einen – hoffentlich nur leichten – Kulturschock erleiden, kann der Blick auf die Gemeinsamkeiten Ihnen dabei helfen, wieder Orientierung und Halt zu gewinnen.
Und jetzt: Applaus für Sie! Sie sind bis heute am Ball geblieben und haben viel über die niederländische Art gelernt, zusammen zu arbeiten und zu kommunizieren, und das entsprechende Verständnis erworben. Das ist wirklich Spitze!
Wir wünschen Ihnen viel Erfolg in den Niederlanden und sagen „Tot ziens“ aus Aachen und Eurode!
Zum Weiterlesen
Weitere Inspiration zum Thema finden Sie u.a. bei unserer interkulturelle Methodenkiste, ganz spezifische Betrachtungen der Unterschiede zwischen dem Rheinland und Zuid-Limburrg unsere einzigartigen, euregionalen Module.
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