Search
Close this search box.
Search

Kulturschock Aachen – Maastricht?

DE und NL unterscheiden sich in einigen Kulturdimensionen recht stark. Das kann Ausgangspunkt für Irritationen sein, in der Summe vielleicht auch für einen Kulturschock.In der Euregio spielen aber nicht nur nationale Unterschiede, sonder nauch regionale Gemeinsamkeiten eine Rolle – und die schlichte Nähe. Für 26.000 Menschen entsteht so ein Alltag zwischen zwei Ländern. 

Für diese besondere Situation einer Euregio oder für Grenzpendler existiert nach unseren Recherchen dagegen kein bekanntes Modell. Denn beim Leben in einer Euregio bzw. europäischen Grenzregion ist der Grenzübertritt sowohl alltäglich und dennoch mit dem leicht exotischen Anderen eines anderen Staates behaftet.Wir beginnen mit einer Deutsch-Niederländischen Ausgangssituation. Dieses wird Schritt für Schritt speziell für Grenzgänger:innen angepasst. Mehr zu den Kulturdimensionen in Südlimburg und im Rheinland in unserem extra Modul.

Das wichtigste vorweg

Anders als bei vermeintlich klassischen Auslandsabenteuern gibt es bei Grenzgängern eine Gleichzeitigkeit ein Nebeneinander der Kulturen. Die typischen Phasen des Eingewöhnens und Annehmens von Veränderungen laufen oft durcheinander. Vergleiche hierzu das Modul zum Grenzgängerkulturschock. Man erlebt alltäglich zwei verschiedene Standards ohne anstrengende Flugreisen oder einen kräftezehrenden Umzug.

Als Grenzgänger:in muss man zudem trennen, ob das Gefühl eines „Schocks“ in der (Arbeits-)Kultur des Nachbarlandes liegt, oder evtl. an zeitgleichen Herausforderungen aus anderer Quelle verstärkt wurden. Dabei spielen auch die eigenen Erwartungen eine große Rolle. Damit wird es möglich, tatsächlich in zwei Normalitäten gleichzeitig zu leben, oder in einer Art hybriden Kultur zwischen Deutschland und den Niederlanden.

Die hier vorgestellten Hilfsmittel haben zum Ziel, ein unbestimmtes, vages
Unwohlsein in neuer Situation und neuem Land genauer zu betrachten und
zu benennen. Abstrakte Probleme werden hierdurch greif- und lösbarer. Mehr Methoden und Reflexionshilfen gibt es in unserer weiteren Sektion.

Allgemeines: Interkulturelle Unterschiede Deutschland Niederlande

Wir stellen die Fragen: Welche typischen Phasen lassen sich besonders für Grenzgänger:innen unterscheiden? Welche Gefühle wird man wahrscheinlich durchleben, wenn man in einem anderen Land arbeitet oder studiert? Womit wird man sich auseinandersetzen müssen? Und was erleben Menschen von fernab der Euregio, die zwischen den Nachbarländern leben oder arbeiten?

Die folgenden Modelle sollen aber einen Eindruck ermöglichen bzw. Wiedererkennbarkeit geben für Unterschiede, die zwischen den Nachbarländern typischerweise auftreten könnten. Stark erlebbar sind vor allem die Kulturdimensionen (laut Erin Meyer), an denen die Kurven am meisten auseinanderklaffen. Sie sind in unseren Modulen zum Arbeitsalltag und in den Audiopräsentationen zu Alltag und geschichtlichen Hintergründen ausführlich beschrieben. 

Kurz gesagt: Das Empfinden von “normal”, “höflich”, “angemessen” geht dabei besonders im Geschäftsleben durchaus auseinander. Es geht dabei konkreter um Fragen wie:

  • Wie direkt wird kommuniziert? Muss man alles überdeutlich sagen (1) oder reichen Andeutungen (10)
  • Wird negatives Feedback sehr direkt (1) geäußert oder geht es beim Kritisieren trotz allem sehr stark darum, das Gesicht des anderen zu wahren (10)?
  • Wieviel Hierarchie ist normal? Ist sehr viel Mitbestimmung gewünscht (1) oder erwartet man die Entscheidungskraft und Verantwortung ausschließlich von Chef / Chefin (10)?
Diese drei Fragen illustrieren die ersten drei Kategorien, die unten in der Graphik auftauchen: “Communicating: Low-Context bzw. explizit; High Context bzw. implizit, zwischen den Zeilen”; Evaluating, Leading. Erste Unterschiede werden deutlich:

Unterschiede zwischen Nachbarländern

Erklärung zur Graphik

Deutschland – übrigens auch Belgien –  weichen in vielerlei ähnlichen Aspekten der Geschäftskultur vom niederländischen „Normal“ ab. In der Graphik oben sind es vor allem die Kategorien „Leading“, also Führung sowie „Deciding“, also Entscheidungsfindung, die Potenzial für ausgeprägte Unterschiede bieten.Man akzeptiert und erwartet in Deutschland in der Regel sehr viel strengere Hierarchien als beim niederländischen Nachbarn normal wären (Vgl. Tag 2 unseres Minikurses). In beiden Ländern kommuniziert man ähnlich explizit, es ist also eher wenig Kontextwissen nötig um zu verstehen, was gerade ausgesagt wird. Einig ist man sich in den Niederlanden und Deutschland auch darin, dass negatives Feedback recht direkt und eher unverblümt ausgedrückt werden kann.

Auch wenn beide Länder hier weltweit zu den kritikfreudigsten Ländern gehören – es gibt dennoch rethorische Mittel, negatives Feedback  verträglicher zu kommunizieren (vgl. Tag 7 unserses Minikurses). Und auch wenn die Niederlande und Deutschland in dieser Kategorie nahezu gleich aufliegen – die Mittel, direktes negatives Feedback auszudrücken, können sich durchaus unterscheiden.

So kann ein Niederländer seine Kritik dadurch erträglicher machen, dass er sich vorher in einer Anekdote von seiner fehlbaren Seite gezeigt hatte. Vielleicht würde er auch eher die Schwierigkeit schildern, in die ihn ein Verhalten bringt und der kritisierten viel Eigenverantwortung  zur Lösung überlassen. Ein Deutscher könnte ein anderes Mittel wählen, und beispielsweise auf seine fest umrissene Rolle hinweisen, aus der er diese Kritik übt. Mehr zum Thema auch an Tag 5 unseres Minikurses und in der Audiopräsentation “Kommunikation“.

Allgemeine Hinweise zur Verwendung der Graphik:

Derartige Zahlen vereinfachen eine grobe Orientierung, auch mit Durchschnittswerten für ganze Länder. Soche Zahlenwerte sollten aber immer nur ein erster Schritt sein. Es kann helfen, eigene Erfahrungen und Empfindungen besser einzuordnen und zu analysieren. Dennoch: Es spielen Tausende Faktoren rein, und ein Landesdurchschnitt kann sich von Branche zu Branche und natürlich bei jeder Einzelperson sehr stark unterscheiden. 

Bei aller Relativierung: Durchschnittswerte  wie diese im Modell unten können helfen zu verstehen, was im Nachbarland als “normal” oder erwartbar gilt. Das hilft, interkulturelle Herausforderungen zu benennen und zu meistern.

Lernprozess & Kulturschock als Deutsche/r in den Niederlanden

Als typischer Deutscher Arbeitnehmer in den Niederlanden kann es zu vielerlei kleineren „Schocks“ kommen. Meist sind diese harmlos, werden gar nicht als Schock empfunden und führen  zu erfrischenden Aha-Momenten. Manchmal wächst sich die Gesamtheit der Unterschiede zu einem allgemein negativem Gefühl aus, dass alle Bereiche umfasst und als Kulturschock bezeichnet wird (Vgl. hierzu unsere Audiopräsentationen Deutschland Niederlande, “Kultur” und “Kernwerte“).

Deutschland und die Niederlande sind sich in vielem tatsächlich ähnlich, und der Kulturschock ist vermutlich ein eher sanfter. Dennoch: Im oben gezeigten Kulturdimensionenmodell von Erin Meyer (Graphik siehe oben) sind es vor allem die Kategorien „Leading“, also Führung sowie „Deciding“, also Entscheidungsfindung, die Potenzial für ausgeprägte Unterschiede bieten. Hier liegen die größten Potentiale für eine Art Kulturschock. Was das im deutsch-niederländischen Kontext bedeuten kann, zeigen wir im Folgenden und erklären darunterstehend: 

"Normaler" Verlauf eines Kulturschocks

Dieser Kulturschock verläuft klassischerweise in Wellen. Nach einer ersten Euphorie “Flache Hierarchien, meine Meinung wird geschätzt”. Der gleiche Aspekt, nämlich die flachen Hierarchien und das Beteiligen Aller, kann später durchaus auch von einer negativen Seite gesehen werden “Chaotische Meetings, keine Verlässlichkeit in der Planung”. Mit der Zeit erschließt sich die Logik und das Gesamtgefüge, zurück im Ausgangsland und zurück in früher “normalen” Hierarchien kann der Rückkehrerkulturschock eintreten: “Wie kann man so nur mit seinen Mitarbeitern umgehen?”

Grenzgängertypisches zwischen Aachen und Maastricht

Die oben beschriebenen Phasen dürften für einen Stuttgarter in Maastricht ähnlich sein wie für eine Aachenerin in Maastricht. Dennoch: Für den Stuttgarter in Maastricht ist nicht nur ist der Arbeitskontext neu, auch das Verarbeiten, der Umgang mit Krisensituationen ist ein anderer. Es fehlt zunächst – zumindest vor Ort – oft die Vertrauensperson, mit der man offen und ehrlich über alles sprechen könnte. Im Ausland auf sich allein gestellt ist der Anpassungsdruck besonders hoch. Man lernt, teilweise auch recht hart, dass man auf sich alleine gestellt ist und ein neues Umfeld erst suchen muss. Gleichzeitig ist dieses Eingewöhnen wichtig, um sich letztendlich mit den neuen Gegebenheiten zu arrangieren. Denn das Umfeld, oft mit starkem Bezug zum neuen Land, hilft dabei, die neuen Gegebenheiten zu verstehen und wertzuschätzen.

Wie genau sich diese Situation für Grenzgänger:innen unterscheiden kann, ist im Modul Grenzgängerkulturschock beschrieben. Kurz gesagt:

Für Grenzgänger:innen ist der Anpassungsdruck womöglich geringer oder tritt zu anderen Phasen auf: Trotz neuer Arbeit in neuem Land bleibt der alte soziale Bezugsrahmen am gleichen Wohnort fast der gleiche. Man behält Freundeskreis, Bekannte, konsumiert ähnliche Medien und muss sich in der Freizeit nicht zwangsläufig mit dem neuen Arbeitsland auseinandersetzen. Wenn man vorher nur wenige Bekannte im Nachbarland hatte, so arbeitet man zwar in den Niederlanden, wohnt, lebt und reflektiert aber in einem deutschen Kontext. Die vorher steile Kurve könnte dadurch etwas flacher sein, schießlich ist der Veränderungsdruck geringer. Der Unterschied durch den stabileren sozialen Rahmen bei Grenzgänger:innen wurde im Modell unten ergänzt:

Grenzgängertypischer Kulturschock: Referenzrahmen

Was heißt das also? Ein (stereo-)typisch deutscher Arbeitnehmer mag flache Hierarchie und egalitäre Entscheidungsfindung zu Beginn (und auch später) sehr schätzen. In schlechteren Phasen kann das neue, niederländische Arbeitsumfeld aber genau hierdurch irritieren: Die Kehrseite von weniger Hierarchie und egalitären Entscheidungsprozessen erscheint zum Teil als vermeintlich chaotische Entscheidungsfindung und irritiert mit raschen Kurswechsenl. Diese Irritation wäre auch für nicht-Grenzgänger:innen der Fall und kann, zusammen mit anderen Negativ-Erfahrungen, durchaus zu einem Kulturschock führen, in dem plötzlich alles negativ erscheint und die neue Umgebung gleich in allen Facetten abgelehnt wird.

Was ist nun der Unterschied für Grenzgänger:innen? Beim vollständigen “Sprung” ins Ausland ist der kleine oder große Schock zwar da, gleichzeitig aber auch ein wachsender Bekanntenkreis, der bei der Relativierung helfen kann. Für Grenzgänger:innen, die nur den Arbeitsalltag im Nachbarland verbringen, fehlt dieser Zugang womöglich. Die altbekannte, strukturierte und verlässlichere deutsche Arbeitskultur ist hier noch sehr viel präsenter, am Feierabend und in der Freizeit, im Austausch mit Bekannten und dem Partner. Wo zuvor nahezu missionarischer Eifer sprühte und nach Veränderungen im eigenen Land strebte, will man nun vielleicht doch wieder zurück in die Komfortzone, die man in heimatlichen Gefilden immer noch präsent vor Augen hat.

Wichtig ist vor allem Folgendes:  Aus Irritartionen und “Schocks” zu manchen Aspekten des neuen Arbeitsalltags sollte keine generelle Ablehnung der neuen Situation oder der gesamten Gastkultur folgen. Wir erinnern uns: Der oben genannte, exemplarische Kulturschock basiert ja lediglich auf den Unterschieden im Bereich „Führung“ und „Entscheidungsfindung“ (vgl. Audiopräsentation Arbeitsalltag). Es braucht einfach eine Zeit, bis man die verborgene Logik und das Gesamtgefüge durchschaut.

Im unglücklichen Fall paaren sich verallgemeinerte Frustrationen mit dem bürokratischen Mehraufwand, der als Grenzgänger:in durchaus und periodisch auf einen zukommen kann. Der Umgang mit (grenzgängertypischer) Bürokratie ist dabei kein eigentlicher Kulturschock. Er kann jedoch auslösen, dass man sich generell unwillkommen fühlt (“hier in den Niederlanden sind alle gegen mich”), dass man sich nach Altbekanntem sehnt und alles Frustrierende in einem kleinem Bereich gleich auf das ganze Land und dessen Kultur überträgt. Im Modell unten ist dieser besondere Tiefpunkt als Ergänzung zum Tiefpunkt der Kurve dargestellt.

 

Lorem ipsum dolor sit amet, consectetur adipiscing elit. Ut elit tellus, luctus nec ullamcorper mattis, pulvinar dapibus leo.

GrenzInfo: Erwartungsmanagement und Hilfestellung

Dienstleistungen wie die GrenzInfoPunkte oder andere Einrichtungen für Grenzgänger:innen können helfen, zunächst vielleicht auch überzogene Erwartugen realistischer einzuschätzen und erste Bürokratieschwellen abzubauen. Im weiteren Prozess sind sie eine wichtige Stütze für die Momente, in denen bürokratische Herausforderungen in einem neuen Umfeld vielleicht überfordernd wirken.

Die Hilfe der GrenzInfoPunkten, aber auch dem Team GWO für steuerliche Fragen und den Services Grenzüberschreitende Arbeitsvermittlung (SGAs) in Eurode, Maastricht und Kelmis setzt genau hier an. Die Institutionen helfen bei der Bewältigung grenzüberschreitender Herausforderungen. Die Grenzinfopunkte helfen dabei, die genaue Schwierigkeit zu identifizieren und Lösungswege aufzuzeigen. Genauso ist es bei interkulturellen Unterschieden wichtig, genau hinzuschauen und mögliche Schwierigkeiten nicht gleich auf das ganze Land und seine Menschen zu verallgemeinern. Im besten Fall kann die erste Niederländische Steuererklärung oder Fragen zu Versicherungen und Zusatzleistungen ein guter Gesprächsanlass sein, um zusammen mit Kollegen und Teamleitern interkulturelle Unterschiede oder ganz einfach das Nachbarland vertieft zu entdecken.

Das Modell oben enthält einen weiteren „Tiefpunkt“: Denn natürlich wird es auch in Zukunft Fragestellungen und Unsicherheiten geben, wie bei jedem Veränderungsprozess. Eine typischer späterer „Kulturschock“ könnte bspw. auftreten, wenn es um den Schulbesuch am ausländischen Wohnort geht. Der Umzug fiel vielleicht leicht, aber die eigenen Kinder in einem anderen Land in die Schule gehen zu lassen, das führt doch zu Verunsicherung. Auch an anderer Stelle kann es sein, dass Umzug oder Arbeitsaufnahme zu mehr Veränderungen führen, als „eingeplant“. Das kann vor allem dann geradezu schockierend wirken, wenn man aufgrund von bspw. Krankheit oder Arbeitslosigkeit ohnehin in einer schwierigen Lage ist und gerade auf altbekanntes Vertrauen möchte.

Mehr Reflexionen zum Grenzpendeln zwischen Süd-Limburg und dem Rheinland in unserem vertiefenden Modul.

Trotz allem: Vorteile für Grenzgänger:innen

Bei allen möglichen Problemen: Gerade als Grenzgänger:in liegen die Vorteile eines interkulturellen Abenteuers auf der Hand. Nach Zeiten der Eingewöhnung und möglichen Rückschlägen kann man „das Beste aus zwei Welten“ für sich nutzen. Der Alltag wird um viele Facetten und Möglichkeiten reicher, Liebgewonnenes von beiden Seiten der Grenze kann ohne großen Aufwand kombiniert werden. Wo man im ferneren Ausland nur bedingt den eigenen Hintergrund, das eigene „normal“ und zu Hause mit anderen Teilen kann, so kann man die Niederländischen Kollegen in einer Euregio auch zum Kaffee in die eigene Heimat einladen – ohne Aufwand und dennoch mit dem interessanten Hauch des Unbekannten. Interkulturelle Unterschiede können so auch helfen, das Eis zu brechen und neue Bekannte, Kollegen und Kolleginnen gleich besser kennen zu lernen.

Und auch der Umgang mit möglichen Interkulturellen Unterschieden kann zur Bereicherung werden: Während im Heimatland Missverständnisse nur irritieren, sind sie in neuem Kontext häufiger Anlass für Schmunzler und Lernerfahrungen. Man lernt, Missverständnisse zu erwarten und entwickelt rethorisches Handwerkszeug, um damit umzugehen. Viele Grenzgänger:innen schulen dadurch ihr Kommunikationsvermögen und finden sich in vielerlei Situationen besser zu recht – in interkulturellen Kontexten und ganz allgemein, nicht zuletzt in beruflichen Perspektiven und der Freizeitgestaltung.

This item is filed under:

Also worth reading:

Ungleiche Schwestern?

Aachen und Maastricht stehen stellvertretend für kulturelle Unterschiede im Grenzgebiet des Rheinlands und Südlimburgs. Man ist sich kulturell recht nah, Überraschungen kann man dennoch erwarten.

I have a question